Unerwartetes Zusammentreffen
Endlich mal wieder ein Abend im Liceo. Die lange Zeit der Ausgangsperre ist aufgehoben. Heute werden wir ein Spektakel mit internationalen Künstlern erleben. Gerade erst waren die Pflanzen noch einziges Publikum und schon dürfen wir rein. Im Foyer tummeln sich allerhand Opernfans. Glitzernde Prinzessinnen haben sich rausgeputzt, ein Rollstuhlfahrer ist auf dem Weg zum Fahrstuhl, man und frau schwebt in Abendrobe und perlenbesetzter Maske zur Mitteltreppe. Plötzlich kommt eine schillernde Gestalt in Samtrot, Kardinalviolett und mit abstehenden Zöpfchen auf mich zu.
C: Entschuldigen Sie, die Figur streckt mir die Hand entgegen. Corona Virus. Können Sie mir helfen?
I: Was machen Sie denn hier?! entrüste ich mich.
C: Ich spiele meine Rolle.
I: Schämen Sie sich nicht, dass Sie nach allem, was Sie uns angetan haben, auch noch um meine Hilfe bitten? Sie tragen noch nicht mal eine Maske.
C: Ich brauche keine Maske. Ich infiziere die Menschen doch.
I: Wer hat Ihnen denn diesen Namen gegeben? Corona steht in Spanien für die geschätzte Monarchie.
C: Es gibt gute und schlechte Monarchien.
I: Warum wollen Sie so viele Menschen töten?
C: Ich bringe niemanden um. Ihre Gesundheitssysteme helfen nicht ausreichend. Statt in Krankenhäuser und medizinische Ausrüstung haben sie in Waffen investiert. Wenden Sie doch diese gegen mich. Sie lacht in ihren Handschuh.
I: Welche Verantwortung tragen Sie angesichts von Hunderttausenden von Toten?
C: Ich bin nicht verantwortlich. Ich lebe genauso wie Sie auf der Erde. Es sind Ihre Vorsichtsmaßnahmen, die nicht funktionieren.
Wir sind inzwischen fast bei der mit rotem Teppich ausgelegten Treppe angekommen.
I: Sind Sie wirklich in China geboren?
C: Ja.
I: Wo wohnen Sie jetzt?
C: In Ihrer Ignoranz.
I: Wurden Sie in einem chinesischen Labor gezüchtet?
C: Nein. Sie wissen doch wegen der steigenden Weltbevölkerung, des Klimawandels, intensivster Landwirtschaft oder des unkontrollierten Einsatzes von Antibiotika kommt es immer wieder zu Zoonosis, bei der Krankheiten von Wildtieren auf den Menschen übertragen werden. Es sind die Menschen, die mich weitergetragen haben.
I: Aber wir Menschen brauchen diese Mobilität für die Wirtschaft, die Globalisierung, den kulturellen Austausch, den ersehnten Urlaub.
C: Ja, und so habe ich die Sagrada Familia endlich mal gesehen. Das ist doch schön. Ich zahle noch nicht einmal Eintritt.
In dem Moment, sehe ich Kati, die in ihrem Programmheft blättert.
I: Hi Kati. Sieh mal, wen ich hier getroffen habe: Corona Virus.
Corona, ich stelle Ihnen Kati Niermann vor, eine Redakteurin des Taschenspiegels. Kennen Sie den Taschenspiegel?
C: Nein, ich kenne nur den Spiegel, der in seiner online-version täglich über mich berichtet.
I: Und wen kennen Sie hier in Spanien?
C: Natürlich Fernando Simón, weil er die ganze Zeit gegen mich polemisiert und eine nationale Kampagne startete. Den hasse ich.
K: Hey, Ina. Corona? Corona Virus wollte ich immer schon mal ein paar Fragen stellen.
Warum fallen Sie ausgerechnet so über uns Menschen her?
C: Ich bin eine gesellige Type. Wenn ich mir das erlauben darf, Sie dringen ja auch in alle Lebensräume ein.so wie Sie es schon seit Jahrzehnten machen mit den Urwäldern, der Tiefsee, dem arktischen Eis…
K: Sie meinen, eine friedliche Koexistenz mit einem tödlichen Virus wäre möglich?
C: Was denken Sie? Ich bin doch schon seit Anfang der 70er Jahre bekannt. Aber ein breiteres Publikum in der humanen Welt habe ich erst bei der SARS-Pandemie 2002 erreicht. Die Jahre dazwischen würde ich durchaus als friedliches Nebeneinander betrachten. Ihr Problem ist, dass ich die Artenschranke durchbrechen kann und munter von Tier zu Tier zu Mensch tändeln kann. Mit meiner Wandelbarkeit halte ich mir alle Türen offen. Immerhin gibt es seit meiner Welttournee wieder viel mehr Menschen, die über Nachhaltigkeit und Rücksicht auf die Natur nachdenken. Wenn jeder ein wenig Verzicht übt, sollte das machbar sein.
K: Apropos Verzicht, können wir nicht wenigstens auf die Masken verzichten?
C: Nur wenn Sie mehr Menschen dazu bewegen, sich nicht so irrational zu verhalten, will sagen Abstand halten, Menschenansammlungen meiden, keine Coronapartys feiern, Händewaschen. Das ist doch nicht viel verlangt auf kurze Sicht.
K: Und auf lange Sicht?
C: Einfach mal darüber nachdenken, was wirklich sinnvoll ist: Doppelte Plastikverpackungen? Kreuzfahrten? Inlandsflüge? Sojafelder zur Fleischversorgung? Monokulturen, Gentechnik, Glyphosat? Da fällt doch jedem etwas ein, was die Natur entlastet.
K: Naja, oder wir bekämpfen Sie einfach direkt mit neuen Impfstoffen.
C: Ach wissen Sie, ich bin ja nicht allein, wir versuchen seit Jahren von allen Seiten, auf uns aufmerksam zu machen. SARS und MERS aus meiner Familie, Schweinegrippe und Vogelgrippe aus der Influenza-A-Familie, eine richtig dufte Truppe. Oder nehmen Sie mal BSE, wenn die nicht damals ihren großen Auftritt gehabt hätte, würden heute noch Rinder mit Tiermehl gefüttert. Völlig widersinnig! Wo ich herkomme, gibt es noch viele andere, die genauso denken. So ein Impfstoff wirkt sicher gegen eine von uns, aber gegen alle hilft nur ein Umdenken. C. rauscht ab, nicht ohne die Menschen, an denen sie vorüberzieht, leicht zu berühren und jedem ein leises „Entschuldigung“ ins Gesicht zu hauchen.
K: Hoffentlich ist es der letzte Vorhang für Corona. Meinst Du, wir sollten überhaupt noch in die Vorstellung gehen?
Da hören wir die Glocke durch den Lautsprecher: „Nur noch 10 Minuten bis zum Beginn der Vorstellung“. So schnell schon? Noch mal klingelt sie. Eindringlich: „Nur noch 5 Minuten bis zum Beginn der Vorstellung“. Panik…. Wo bin ich? Ich atme tief durch. Alles nur geträumt?
Von Ina Laiadhi und Kati Niermann
Schlagwörter: Barcelona, Interviews