Sag mir, wo die Schwestern sind
Vor fast 100 Jahren schrieb Virginia Woolf ihren Essay A Room of one’s own („Ein Zimmer für sich allein“), in dem sie sich u.a. die Frage stellte „Wieso sind Frauen arm?“ Global gesehen sind sie das nämlich auch heute noch. Woolf erfand die Figur der Judith Shakespeare als Schwester des Dichters. Dieses Werk ist seitdem zu einem Klassiker der feministischen Bewegung geworden, die es Ende der 60er Jahre wiederentdeckt hat. Woolf nahm in ihrem Text ein Motto der 68er vorweg, indem sie auf den politischen Charakter des Privaten – wie die Filmemacherin Helke Sanders – hinwies. Mit der Erfindung der Judith Shakespeare hat Woolf einen Meilenstein gesetzt und sogleich einen Stein ins Rollen gebracht. Man kann den Namen Shakespeare in besagtem Essay durch die Dichter Cervantes, Molière, Goethe oder die Gebrüder Grimm ersetzen und sich fragen, was aus deren Schwestern geworden ist. In ihrer fiktiven Figur macht Woolf aus Judith Shakespeare eine intelligente, begabte junge Frau, die ebenso abenteuerlustig wie ihr Bruder ist, mit blühender Phantasie ausgestattet und einer unbändigen Abenteuerlust, die Welt zu entdecken. Sie teilt mit ihrem Bruder auch die Begeisterung für Worte. Ein Genie, das darauf brennt, das Leben von Männern und Frauen zu erkunden und zu genießen, ihre unterschiedlichen Verhaltensweisen zu studieren und sie zu Papier zu bringen. Sie schnappt sich ein Pferd und reitet zum Theater, um dort als Schauspielerin aufgenommen zu werden, aber der Theaterdirektor verspottet sie und macht sich darüber lustig, wie sie als Frau auf einen solchen Gedanken habe kommen können. Er nimmt ihr jede Hoffnung, so dass sie in einer Winternacht den Freitod sucht. Judiths Ende ist tragisch, denn sie steht für die vielen Schriftstellerinnen und Schauspielerinnen, die sich immer wieder damit abfinden mussten, nicht weiterzukommen, weil sich ihre männlichen Kollegen alles zu ihren eigenen Gunsten angeeignet hatten. Sogar die Muttersprache ist eigentlich eine Vatersprache, denn man ordnet die Sprache dem Mann zu, spricht von der Sprache Cervantes oder Molières. Das Interessante ist, dass die fiktive Judith Shakespeare inzwischen zu einer Referenz geworden ist. Manch‘ einer fragt sich, ob sie nicht wirklich gelebt hat und stellt gleich die Rolle der Frau in Frage. Es gibt einige nach ihr benannte Theatergruppen. Kürzlich griff das engagierte Stück Judith Shakespeare – Rape and Revenge von Paula Thielecke am Deutschen Theater in Berlin das Thema auf. Das stimmt uns nachdenklich. Wir stellen im Sommer gern unsere Short List für eine Sommerlektüre vor: hier haben Sie einen Tipp für die kommenden Wochen.
Wunderbare und erholsame Ferien Euch allen!
Editorial TaschenSpiegel 153, August 2022
Von Ina Laiadhi, Chefredakteurin
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Der Teu el stekct im etail
Das war wohl Uli der Fehlerteufel unterwegs. Wer kennt ihn nicht? https://de.wikipedia.org/wiki/Uli_der_Fehlerteufel ,
Titelbild Foto: K.Niermann