Barcelona und der junge Picasso
Wer die Werke des jungen Picasso im Picasso-Museum in Barcelona sucht, erlebt eine Überraschung. Es hängen hier Ölgemälde, die uns die bürgerliche Welt des 19. Jahrhunderts vor Augen führen. Auch sieht man staunend die ersten Talentproben im großen Format, die der fünfzehnjährige Picasso ablieferte.
“Die Erstkommunion” (1896) zeigt seine kniende Schwester Lola, ganz in weiß, den Blick fromm auf das Gebetbuch gerichtet, den Vater, mit verkniffenen Augen daneben stehend, und am Altar den Messdiener, der mit einer Blumenvase hantiert. Der Kunstschüler Picasso hatte sich keine leichte Aufgabe gestellt. Starke Helldunkel-Kontraste gliedern den Raum. Licht fällt aus drei verschiedenen Quellen und jeder Teilnehmer an der Zeremonie scheint mit seiner eigenen Rolle beschäftigt zu sein. Das Bild ist ganz dem Naturalismus verhaftet, und niemand würde hinter dem Maler den späteren “Formenzerstörer“ vermuten. Dasselbe gilt für die beeindruckende Krankenszene “Science et charité” (“Wissenschaft und Nächstenliebe”) zu der auch die Vorstudien in Öl und Wasserfarbe ausgestellt sind.
Picasso verbrachte zwar drei Viertel seines Lebens in Frankreich, aber dennoch prägten ihn seine Lehrjahre in Spanien. Die ersten zehn Lebensjahre verbrachte der 1881 geborene Pablo Ruiz Picasso in Málaga, woher seine Mutter stammte, die nächsten vier Jahre in La Coruña. Dort entdeckte sein Vater, der selber als Maler und Zeichenlehrer tätig war, die außerordentliche Begabung seines Sohnes. Im Jahre 1895, mit dem Umzug nach Barcelona, begann die wichtigste Etappe der künstlerischen Prägung Picassos. Er absolvierte die Kunstschule “La Lonja”, wohin auch sein Vater gewechselt war. Die spanische Malerei seiner Zeit beschränkte sich auf religiöse oder historische Motive. Auch er malte wie ein alter Meister und erarbeitete sich so ein traditionelles Fundament.
Seine Kreativität allerdings entfaltete er außerhalb des Lehrprogramms. Oft besuchte er das Café “Els 4 Gats”, um dort etwas von der Kunstszene jenseits akademischer Traditionen zu erfahren. Es war der Treffpunkt modernistischer Bohémiens, und zwischen 1895 und 1903 war es das Tor zum Modernismo (dem katalanischen Jugendstil) schlechthin. Picasso diskutierte hier mit Gleichgesinnten und stellte hier zum ersten Mal eigene Porträtzeichnungen aus. Überhaupt zeichnete Picasso schon immer gerne, besonders Tauben und Stiere, die Embleme seiner Kunst. Die immense Fülle und Vielfalt seiner zeichnerischen Werke geben darüber Aufschluss. Skizzenbücher und unzählige Blätter der Jugendjahre verraten auch einen gewissen parodistischen Humor und eine unerschöpfliche Lust am Experiment.
Den frühen Picasso reiht man gerne in seine sogenannte “Blaue Periode” ein, in die Phase zwischen 1901 und 1904, als er sich in blau grundierten, schwermütig-pessimistischen Gemälden mit dem Jugendstil auseinandersetzte. Am Ende wurde Barcelona dem Künstler zu klein und er machte sich auf nach Paris, um die Internationale Moderne kennenzulernen.
Sein Freund und Sekretär Jaume Sabartés schlug der Stadt 1960 die Gründung eines Picasso-Museums vor. Drei Jahre später waren alle Werke Picassos, die bis dahin auf städtische Museen verteilt waren, mit der Privatsammlung unter einem Dach vereint. 1968, im Todesjahr seines Freundes, schenkte Picasso dem Museum die 58 Bilder der “Las Meninas”-Serie, seine schöpferische Auseinandersetzung mit Velázquez, zwei Jahre später sämtliche Ölgemälde und Zeichnungen aus dem Wohnhaus seiner Familie in Barcelona. Inzwischen ist das Museum das Zugpferd unter Barcelonas Kunststätten.
Auch als er bereits drei Jahre in Paris lebte, schwelgte Picasso immer noch in seinen vielen Erinnerungen an Barcelona und auch ganz besonders an ein Bordell mit dem Namen Ca la Mercé und der Hausnummer 44 in der “Carrer d’Avinyó”. Einem seiner imposantesten Werke mit 243,9 x 233,7 cm gab er den Namen “Demoiselles d’Avignon”.
Es ist nicht nur eines der bahnbrechenden Werke der Kunstgeschichte, sondern das Schlüsselbild des Kubismus.
Petra Eissenbeiss, Februar 2022