Ohrwürmer
Was? Dich quält ein Ohrwurm? – Igitt, das sind doch so schreckliche Viecher mit so langen Zangen hinten, oder? Und den hast du im Ohr? – Quatsch, dieser Ohrwurm, auch Ohrenkneifer genannt, ist ein ganz harmloses Tierchen und unsere Ohren interessieren ihn nicht die Bohne.
Tja, so kann man sich täuschen, denn hier ist die Rede nicht von einem Ohrenkneifer, sondern von einem typischen Ohrwurm. Und das ist etwas ganz anderes. Du sitzt entspannt auf dem Sofa, liest ein bisschen im TaschenSpiegel und völlig unerwartet hörst du eine Melodie und einen Text in deinem Kopf: Das Wandern ist des Müllers Lust, das Wa-andern. Vielleicht hast du ja gerade einen Ausflugstipp gelesen. Jedenfalls hörst du des Müllers Lust schon wieder und noch mal und noch mal, immer nur den Anfang und den Text. Es fängt an, beim Lesen zu stören und du fragst dich, wie und wann das nun endlich wieder weg geht. Du gehst in die Küche und was immer du tust, es dudelt und dudelt der Müller mit seiner Wanderlust. Also wenn schon, denn schon, also das Lied halt mal laut mitsingen. Pech, das Lied hat sich nun endgültig zwischen den Ohren irgendwo im Hinterkopf festgefahren. Es macht dich langsam nervös, so ein Ohrwurm nervt! Das Telefon klingelt, du antwortest und siehe da, der Spuk ist vorbei, der Kopf wieder klar. Woher aber kam diese ewige Wiederholung eines Liedanfangs? Und wieso hörte es so plötzlich auf?
Dazu schauen wir mal kurz in unser Gehirn. Dort gibt es zwischen all dem anderen, was sich dort befindet, zwei wichtige Details. Einmal den Schläfenlappen, der dafür sorgt, dass eine Melodie, die wir zum ersten Mal hören, sich dort verankert. Und weiterhin gibt es den Stirnlappen, mit dem wir unsere innere Stimme hören, also eine Melodie in unserem Innern mitsingen können. Das ist ja eigentlich eine feine Sache. Aber beim Ohrwurm sendet der Schläfenlappen beim Hören eines Liedes oder auch mal beim Lesen von Sätzen unverhofft Reizimpulse an den Stirnlappen. Das führt dazu, dass wir einmal eine Melodie innerlich mitsingen und diese hören wir nun in unserem Kopf. Aha, hören! Da fühlt sich doch gleich der Stirnlappen wieder angesprochen und sendet ein paar Reizimpulse an den Schläfenlappen zurück. Dabei kommt es nun zu einer Hin-und-Her-Verbindung, also einer schönen oder besser unschönen Dauerschleife einer Musik. Sind wir konzentriert oder aktiv beschäftigt, löst sich diese Verbindung oft schnell wieder. Aber bei manchen kann sie für Stunden oder Tage anhalten. Soviel also dazu, was bei einem Ohrwurm in unserem Kopf vorgeht.
Am liebsten taucht so ein Ohrwurm auf, wenn wir entspannt sind oder vor dem Einschlafen noch so ein bisschen Musik gehört haben. Bei langweiligen Aufgaben, sagen wir mal beim Bügeln, Geschirrspülen, im Kochtopf rühren oder so, wo wir uns wenig konzentrieren müssen, taucht aus dem nichts plötzlich mal irgendeine Melodie auf. 95 % aller diesbezüglich Befragten haben solche Ohrwürmer erlebt. Auch wenn sie unwillkürlich ohne unser Zutun auftauchen, entstehen sie doch ganz bewusst, da wir bestimmte Songs besonders mögen und sie oft anhören.
Wie sich ein richtig unangenehmer sich ewig im Kopf drehender Ohrwurm anhört? Ein einziges Mal habe ich einen beim Einschlafen erlebt mit dem Lied: “O come all ye faithfull“ (auch noch auf englisch!). Erst dachte ich, da singt ein Chor im Radio bei den Nachbarn. Aber es kam immer wieder nur die erste Zeile. Und dann hörte ich die Musik, als käme sie aus meinem Kopfkissen. Wie auch immer ich meinen Kopf drehte, die Musik war immer wieder da, in meinem Kopf, hinter meinem Kopf, irgendwo zwischen meinen Ohren, leise und beständig. Ich wollte das nicht mehr hören, wollte schlafen. Ein solcher Ohrwurm kann einen echt zur Verzweiflung bringen. So intensiv taucht er jedoch selten auf. Er verschwindet auch urplötzlich mal wieder. Wie aber bekommt man das Ding schneller wieder los? Kaugummi kauen klingt blöd, soll aber helfen.
Auch wenn Ohrwürmer eine harmlose Alltagserscheinung sind, interessiert sich die Forschung doch dafür und testet, ob auch bei bösen und abwegigen Gedanken eine Dauerschleife entsteht und Menschen dadurch krank oder gefährlich werden könnten.
Da auch Texte sich in Ohrwürmer verwandeln, nutzt die Werbung das weidlich aus. „Haribo macht Kinder froh“ zum Beispiel oder „Nichts ist unmöglich, Toyota!“ Kaum sieht man das Produkt oder auch nur ein Wort daraus wird zufällig erwähnt, schon summt der Werbeslogan in unserem Kopf. Es gibt sogar Melodien, von denen man weiß, dass es Ohrwürmer sind, also besonders lange bei vielen Menschen im Kopf verharren. Dazu gehören zum Beispiel YMCA, We are the Champions oder Life is Life. Also wenn Sie einschlägige Songs immer wieder in ihrem Kopf hören, singen sie halt fröhlich mit oder kauen Sie Kaugummi.
Von Dixi Greiner, Februar 2025
Schlagwörter: Kultur, Moderne Welt, Musik