Das Bad im Wald

Foto: Ina Laiadhi
Haben Sie bei Ihrem Waldspaziergang schon mal jemanden gesehen, der einen Baum umarmt? Sicher haben Sie gedacht: wie albern ist das denn? Aber wieso gehen Sie spazieren? Ach, es war ein hektischer Tag mit viel Stress und da mussten Sie einfach mal raus und frische Luft schnappen? Und jetzt fühlen Sie sich schon entspannter? Sehen Sie, da haben Sie schon selbst ein bisschen Shinrin Yoku, Waldbaden, gemacht. Und dazu gehört auch das Umarmen von Bäumen.
Ist unser Leben durch beruflichen Stress, Überforderung, Lärm, Verkehr, durch Digitalisierung, ständige Erreichbarkeit und die Tatsache, dass wir gar nicht mehr richtig abschalten können, nicht reichlich “un”natürlich geworden? In Japan wurde man zuerst darauf aufmerksam, dass der Mensch wieder einen Weg zurück zur Natur finden müsse, um Krankheiten wie Burnout und Symptomen wie Kopfschmerzen, Unkonzentriertheit, Schlaflosigkeit, ständige Gereiztheit usw. in den Griff zu bekommen. Aus gemeinsamen, erholsamen Spaziergängen durch den Wald, entwickelte sich 1982 eine Therapie, bei der die Menschen wieder bewusst mit der Natur in Verbindung gebracht wurden. Man lief nicht nur einfach durch den Wald, sondern lernte, ihn mit allen Sinnen in sich aufzunehmen, ihn zu riechen, zu fühlen, zu hören, ihn einzuatmen. Die Bäume selber spielen dabei eine große Rolle. Sie zu umarmen bedeutet, sie zu bitten, etwas von ihrer Kraft an den Umarmenden abzugeben. Der durchaus heilsame Erfolg dieser “Waldbäder”, die Ruhe, Entspannung und wunderbares Wohlbefinden schenkten, ließ nun auch die Forschung aufhorchen. Und da alles wissenschaftlich bewiesen und ausgelegt werden muss, begann man gleich mit einigen Studien. Man ließ eine Gruppe durch den Wald spazieren, während die andere Gruppe am Computer arbeitete. Man braucht kein Wissenschaftler zu sein, um zu erahnen, welche Gruppe die besseren Ergebnisse zeigte: gesenkter Blutdruck, abgebaute Stresshormone, niedrigere Pulsfrequenz, gestärktes Nervensystem und mehr Ruhe und Ausgeglichenheit.
Wie gesund Spaziergänge durch den Wald sind, weiß man auch in Spanien. Aber Naturwälder, die nicht nur ideal für das Waldbaden sind, sondern auch dem Erhalt von Pflanzen und allen möglichen Tierarten dienen, sind rar und müssen geschützt werden. In Katalonien stehen immerhin 2,4 Prozent der Wälder unter Naturschutz. Die Organisation Selvans setzt sich mit ihrem Motto: “ Menschen für Wälder – Wälder für Menschen”, ganz intensiv dafür ein, die Zahl auf 5 Prozent zu erhöhen. In einigen Gegenden gibt es bereits “ therapeutische Wanderwege”, auf denen kleine Gruppen durch den Wald begleitet und dabei zum “Waldbaden” angeregt werden. Und schönere und abwechslungsreichere Wälder als in Katalonien findet man selten.
Für Stadtmenschen gibt es heute viele Freizeitangebote, die nicht unbedingt einen Waldspaziergang einschließen. Aber es lohnt sich, mit dem Auto in ein Waldgebiet zu fahren und dort bewusst Erholung zu suchen. Wenn man sieht, wie besonders Kinder dort toben, Blumen und Pflanzen bewundern, Blätter sammeln und ganz natürlich liebevoll Bäume umarmen, dann spürt man, wie sehr Mensch und Natur zusammengehören.
Von Dixi Greiner