Goethesche Liebschaften
Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine kluge Frau, so sagt man. Nun hinter dem Schriftsteller, Dichter Naturwissenschaftler, Juristen und Geheimrat Johann Wolfgang von Goethe standen unzählige Frauen. Sie waren seine Musen, platonische Geliebte, älter jünger und viel jünger, über und unter seinem Stand, jungfräulich verheiratet, verwitwet. Man möchte unumwunden sagen, Goethe hatte kein Beuteschema. Er war gern leidenschaftlich verliebt und zog daraus seine schöpferische Kraft.
Der junge Wilde
Zum ersten Mal hell entflammt war er mit 16 für Anna Katharina „Kätchen“ Schönkopf. Er Student der Juristerei in Leipzig, sie Gastwirtstochter, der Standesunterschied verbot eine Verbindung. Sie heiratete einen anderen, er brach zusammen. Geblieben ist der Gedichtband „Annette“, der sein heißes Werben in Verse fasste.
Das Studium führte ihn über Frankfurt nach Straßburg, wo er für die Pfarrerstochter Friederike Brion entbrannte. Die Liebe dauerte ein Jahr, dann verließ Goethe sie und kehrte nach Frankfurt zurück. Geblieben sind eine Frau mit gebrochenem Herzen und die gefühlvolle Lyrik der „Sesenheimer Gedichte“.
Das Rolemodel der Lotte aus dem Bestseller „Die Leiden des jungen Werthers“ war Charlotte Buff. Diese war bereits einem anderen versprochen, doch wie Werther in seinem Briefroman, umwirbt Goethe sie stürmisch und drängend. Im Gegensatz zu Werther findet er den Ausweg aus der Verzweiflung nicht im Freitod, sondern setzt seine Energie beim Schreiben um und sichert mit seinem zweiten erfolgreichen Werk nach dem „Götz von Berlichingen“ auf ewig seine herausragende Stellung als Schriftsteller.
(Die Geschichte dieser Liebe ist vergnüglich nachgestellt worden in dem Film „Goethe“)
Goethe ging auch mal ein ernsthaftes Verlöbnis ein, mit Lili Schönemann, Spross einer Frankfurter Bankiersfamilie. Doch die bürgerliche Enge nimmt ihm die Schöpfungskraft. Er löst die Verlobung und geht nach Weimar. Warum er die Verbindung beendet, das lässt er den Fernando in seinem Stück „Stella“ erklären, das er später mit persönlicher Widmung an Lili schickt: Ich wäre ein Tor mich fesseln zu lassen. Dieser Zustand erstickt alle meine Kräfte…
Der Sesshafte
Goethes Zeit in Weimar war hauptsächlich von drei Frauen geprägt.
Die erste, Charlotte von Stein, war die Hofdame der Herzogin Anna Amalia. Sie war knapp sieben Jahre älter, verheiratet und siebenfache Mutter, als Goethe sie kennenlernte. Da verehrte sie den großen dichter schon. Er glühte für sie und ließ es sie in hunderten von Briefen wissen. Doch die Liebe soll rein platonisch geblieben sein, schließlich war sie verheiratet. Eine gewisse Kühle wird ihr von jeher nachgesagt. Die von Stein war das Vorbild, nachdem Goethe seine Iphigenie auf Tauris modellierte.
Eine kühne Behauptung warf im Jahre 2007 der Italiener Ettore Ghibellino mit seinem Buch „Eine verbotene Liebe“ in den Raum. Danach hätte Goethe eine heimliche Affäre mit der Herzogin über Sachsen-Weimar-Eisenach gehabt. Frau von Stein sei lediglich Übermittlerin der verschleierten Liebesbotschaften gewesen. Anna Amalia, die bereits mit 18 Jahren nach dem Tod ihres Mannes die Regierungsgeschäfte für ihren kleinen Sohn übernahm, könnte man sich allerdings gut an der Seite des Universalgelehrten vorstellen. Sie eine starke Persönlichkeit, die das kriegsgebeutelte Land aus der Misere zog und ökonomisch, geistig und kulturell auf solide Füße stellte, und damit den Grundstein für Weimars Blütezeit legte. Er, der mit all seinen Regierungsämtern quasi das Amt eines „Ministerpräsidenten“ bekleidete und dabei das Hohelied der Liebe in unzähligen Variationen zu intonieren wusste. Auch dass er gern leidenschaftlich liebte, was keine Zukunft hatte, und sich so nie festlegen musste, passt ins Bild. Seine vielzitierte Italienreise wäre dann eine flucht vor Entdeckung der unziemlichen Liebelei gewesen.
In den Fachkreisen der Goethebiografen zieht man diese Verbindung eher in Zweifel.
Sei es wie es sei, als Christiane Vulpius in Goethes Leben trat, dürfte die eine wie die andere Liaison perdu gewesen sein. Christiane, die so unstandesgemäß war, dass sie von der Weimarer höheren Gesellschaft geschnitten wurde, dürfte die längste Beziehung zu Goethe gehabt haben. Sie ließ ihm seine Freiheiten, beschränkte ihr Tun auf Haus und Garten und wurde so sehr Teil seines Lebens, dass er sich nach 18 Jahren Beziehung doch dazu durchrang, sie zu ehelichen. Niemand verstand diese Beziehung. Am ehesten wird sie von Goethe höchstselbst in seinem Gedicht „Gefunden“ beschrieben, indem der Ich-Erzähler sich einmal dazu entschließt, das Blümlein, das er im Walde findet, nicht zu pflücken, so dass es verwelke, sondern es samt Wurzeln auszugraben und hinterm Haus einzupflanzen, wo es fürderhin blüht. Als Christiane erkrankte und später starb, blieb er sowohl ihrem Krankenbett als auch dem Begräbnis fern.
Der alte Schwerenöter
Auch im hohen Alter war Goethe immer noch aufgeschlossen für Techtelmechtel. Seine wohl letzte heiße Liebe galt Ulrike von Levetzow, die er auf einer Kurreise in Marienbad kennenlernte. Der 74jährige verstieg sich doch tatsächlich, die 19jährige zu freien, was für das junge Mädchen natürlich nicht in Frage kam. Sie blieb Zeit ihres Lebens unverheiratet und behauptete in ihm immer nur einen väterlichen Freund gesehen zu haben. Geblieben hiervon sind seine „Marienbader Elegien“ in denen er gleichsam Abschied von diesem letzten Kapitel seines Lebens nimmt. Stefan Zweig hat in seinen „Sternstunden der Menschheit“ eine Miniatur darüber verfasst, die jedem Goethe-Interessierten ans Herz gelegt sei.
Bleibt zum Schluss die Gretchenfrage. Wem war das junge unschuldige fast schon schnippische Wesen nachempfunden, an das Doktor Faust in der Tragödie erstem Teil sein viel älteres Herz verliert.
Gretchen alias Susanna Margaretha Brandt gab es wirklich. Aber sie war keine der goetheschen Liebschaften. Sie ist Goethe vielmehr während seines Jurastudiums begegnet, eine Kindsmörderin, die verurteilt und hingerichtet wurde. Der Fall hat Goethe sehr beschäftigt, denn es gab eine augenfällige Diskrepanz zwischen ihrer Schuld und der furchtbaren Strafe. Der Jurist erkannte die Unzulänglichkeit der Rechtsprechung und ließ in seinem „Faust“ das Gretchen vom göttlichen Gericht retten.
So wollen wir uns auch über seine Schuld und Unschuld kein Urteil erlauben.
Von Kati Niermann
Schlagwörter: Europa, Frauen, Geschichte, Kultur, Literatur