Europa, dein Handlungsbedarf
Es ist mal wieder viel los. Die Präsidentschaftswahlen in den USA, die brutalen Folgen des Unwetters in Valencia, Neuwahlen in Deutschland und weiterhin Frontalangriff auf die Ukraine. Die Liste kann man nach Belieben weiterführen. Aber Weltschmerz hin oder her, irgendwas ist immer. Pragmatisches Planen und Handeln hilft, permanente Schnappatmung hilft nicht.
Das EU-Timing ist günstig: Die Wahlen sind durch und die neue Europäische Kommission könnte ab Dezember ihre Arbeit aufnehmen. Die Zustimmung des Europäischen Parla-ments wird gerade heiß verhandelt. Ursula von der Leyen (EVP/ CDU) hat 26 Kabinettsmitglieder vorgeschlagen, bei 19 gibt es bereits Einigung. Offen sind Ungarns Olivér Várhelyi und die Vizepräsidenten (Raffaele Fitto, Teresa Ribera, Kaja Kallas, Henna Virkkunen, Roxana Mînzatu, Stéphane Séjour-né). Das College wird voraussichtlich konservativer bis rechtsnational ausfallen, und mit weniger Frauen. Das Gleichgewicht zwischen Parteien, Ländern, Nord-Süd, euro-päischer und nationaler Orientierung ist schwierig auszuta-rieren, ist aber wichtig für politische Repräsentanz.
Ob Italiens Fitto (EKR/ FdL) als Melonis ‚Mann in Brüssel‘ oder auch als Verfechter europäischer Interessen gesehen wird, steht zur Debatte. Spaniens Teresa Ribera (SPE-PSOE) wäre ein Gegengewicht der Sozialisten im konservativen Kabinett, soll aber noch zum Katastrophenschutz in Valencia Stellung beziehen. Ende des Monats bzw. des Jahres werden wir mehr wissen.
Die EU ist durch die Eurofinanzkrise und Corona-Pandemie eng zusammengerückt, agiert koordinierter als je zuvor. Aus der finanziellen Not wurde eine gestärkte politische Realität. Vorher undenkbar, jetzt normal. Da sollten wir ansetzen.
Das Friedensprojekt Europa wird seit jeher von der NATO flankiert. Die USA unter Trump (I und II), die Expansion Russlands und gewachsene Interessen neuer Akteure auf der Weltbühne signalisieren Europa eigenen Handlungsbedarf. Eine stärkere NATO und der Ausbau der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik könnten die Antwort sein. Estlands liberale Kaja Kallas (ALDE/ RE) die vorgeschla-gene EU-Außenbeauftragte (Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik) gilt als Verfechterin dieser Linie.
In unserer volatilen VUCA-Welt ändern sich komplexe Begebenheiten oft schnell. Planungssicherheit wird vermisst und auch verschlafen, wo es sie gibt.
Der Rest der Welt hat aufgeschlossen. Der Anteil der EU am kaufkraftbereinigten globalen Bruttoinlandsprodukt ist von 27,7 % (1980) auf 14,4 % (2024) gesunken (Quelle: Statista). Die chinesische Autoindustrie ist zur Konkurrenz für europäische (deutsche) E-Autos geworden, aber keineswegs über Nacht. Deutschlands Infrastrukturdefizite, der Ausgang der US-Wahlen, die Gefahren für unsere Sicherheitslage, etc. kommen alle nicht überraschend.
Vielleicht müssen wir schneller werden, agiler planen und unser Wunschdenken zurückstellen. Wie in anderen, weniger privilegierten Teilen der Welt als Europa. Weltschmerz, Nostalgie und die tradierte Selbstfindung sind ein Luxus mit Verfallsdatum, den sich Europa derzeit nicht leisten kann.
Das soll uns natürlich nicht vom Träumen abhalten. Träume sind auch zukunftsweisende Ziele, die man pragmatisch an-steuern kann. Für einige ist Europa bereits ein gelebter und abgeschotteter Traum, zumindest von außen gesehen. Eine Prise weniger Eurozentrismus könnte uns glücklicher machen, auch wenn viele Zeichen gerade auf Unwetter stehen.
Von Kolja Bienert; Dezember 2024
Was ist VUCA?
Das VUCA-Modell bezieht sich auf die Veränderungen der heutigen Welt, besonders in der Wirtschaft. Denn die heutigen Märkte verändern sich schnell und oft auch radikal. Das Akronym steht für volatility (Volatilität), uncertainty (Unge-wissheit), complexity (Komplexität) und ambiguity (Ambigui-tät). Unternehmen und Führungskräfte sind bestrebt, effi-zient und agil auf die sich ständig wechselnden Anforderun-gen zu reagieren.
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