Buchtipp: Die drei Sonnen
Ein Science Fiction, die chinesische Kulturrevolution und Netflix
Wie verbindet man die chinesische Kulturrevolution mit einem Science-Fiction-Roman? Cixin Liu schafft dieses Kunststück mit einer intelligenten und einfallsreichen Geschichte. „Die drei Sonnen“ ist der Anfang einer Trilogie, die mit den Büchern „Der dunkle Wald“ und „Jenseits der Zeit“ fortgesetzt wird.
Das erste Buch erschien 2007 auf Chinesisch und 2017 auf Deutsch im Heyne Verlag. Warum also jetzt darüber schreiben? Das liegt daran, dass Netflix diese Trilogie als „3 body problem“ in eine Serie verwandelt hat, die in diesem Jahr erschienen ist und mit Kosten von 160 Millionen Dollar eine der teuersten Serien ist, die Netflix je produziert hat. Und sie ist auch sehr erfolgreich. Für mich eine der besten Serien, die ich seit langer Zeit gesehen habe. Und deswegen habe ich auch gleich das Buch gekauft. Und dabei habe ich etwas Überraschendes entdeckt, aber dazu später.
Zur Geschichte: In der chinesischen Kulturrevolution werden Intellektuelle und speziell Wissenschaftler verfolgt, diskriminiert und sogar getötet. Die Tochter eines ermordeten Physikers, selbst Physikerin, arbeitet nach vielen Diskriminierungen und Strapazen an einem Projekt, das die Kommunikation mit anderen Zivilisationen im Weltall zum Ziel hat. Und durch einen genialen Einfall ihrerseits hat dieses Projekt Erfolg. Und obwohl sie schnell weiß, dass ihre Kommunikation ein tragisches Ende der Menschheit bedeuten kann, setzt sie, aus ihrer Verbitterung über die Menschheit, die Kommunikation fort. Denn die angefunkten sogenannten Trisolarier haben nicht vor, friedfertig mit den Menschen zusammenzuleben. Sie planen eine Invasion. Allerdings wird diese Invasion ca. 400 Jahre dauern, bis die Raumschiffe die Erde erreichen. So entbrennt auf der Erde ein Wettlauf mit der Zeit, um bis zu diesem Zeitpunkt technologisch so auf der Höhe zu sein, um einen drohenden Kampf gewinnen zu können. Die Welt befindet sich in einem 400-jährigen Kriegszustand.
Ich will nicht weiter auf den Inhalt eingehen, aber auf die Struktur des Buches und der Serie. Interessant ist nämlich, dass dieses Buch auf verschiedenen Ebenen spielt. Einmal gibt es den historischen Teil der Kulturrevolution, die ausführlich und mit mir bisher unbekannten Facetten geschildert wird. Der andere Teil der Geschichte spielt in der Jetztzeit und schildert die wissenschaftlichen, aber auch sozialen Konsequenzen, die diese potenzielle Invasion und der Kriegszustand mit sich bringen. Und hier hat sich der Autor schon auf einige faszinierende Gedankenspiele eingelassen. Und dann gibt es noch einen dritten Teil, der innerhalb einer virtuellen Welt spielt und in der sich historische Figuren wie Kopernikus oder Galileo mit dem physikalischen 3-Körper-Problem beschäftigen, das die grundsätzliche Problemlage dieses Buc hes bildet. Letzteres ist zwar für physikalisch ungebildete Menschen manchmal starker Tobak, aber Liu versucht, es uns möglichst einfach nahezubringen. Insofern hat dieses Buch teils sehr wissenschaftliche Passagen, die aber durch seine wunderschöne Wortmalerei in anderen Passagen mehr als wettgemacht wird. Ich bewundere die Kunst, wie es die Übersetzerin Karin Betz vollbringt, aus den chinesischen Schriftzeichen so einen bildreichen und poetischen Text zu zaubern.
Und lohnt es sich, den Roman zu lesen, wenn man die Serie schon gesehen hat? Ja, sehr. Ich habe die Serie genossen. Sie ist intelligent aufgebaut und bildnerisch umwerfend umgesetzt.
Und was ist der Unterschied zwischen dem Buch und der Serie? Ganz einfach – es sind zwei verschiedene Geschichten. WTF? Ja, wirklich. Es dreht sich zwar um denselben Plot – sagen wir so, der Kern ist der Gleiche – aber Netflix hat einfach eine andere Geschichte daraus gemacht. Die Serie spielt an anderen Orten; es gibt eine Menge von wichtigen Figuren und Geschichten, die im Buch gar nicht vorkommen. Es ist also äußerst interessant zu sehen, wie Netflix ein Buch vernetflixt. Und es funktioniert so als Serie wahrscheinlich wesentlich besser, als wenn sie versucht hätten, das Buch originalgetreu zu verfilmen.
Das Buch wiederum geht viel detailreicher auf Aspekte ein, die so in einer Serie viel zu langatmig gewesen wären, die aber für den Leser durchaus interessant sind. Und die bildreiche Sprache von Cixin Liu ist unbedingt lesenswert. So bilden also das Buch und die Serie eine perfekte Ergänzung.
Von Sascha Siebenmorgen, Dezember 2024
Schlagwörter: Literatur, Moderne Welt