Katia Pringsheim: „Frau Thomas Mann“

Katia Mann, geb. Pringsheim im Kreis der Familie
Dossier Besondere Tage
2025 ist ein besonderes Jubiläumsjahr: Thomas Mann (1875-1955) kam vor 150 Jahren in Lübeck zur Welt, und verstarb 1955 vor 70 Jahren im schweizerischen Kilchberg, kurz nach der 50-jährigen Hochzeitsfeier mit seiner Frau Katia. 1905 hatte die umschwärmte Katia Pringsheim nach etlichen Monaten beharrlicher Umwerbung und einer Flut von glühenden Liebesbriefen endlich ihr Jawort zu der von „Tommy“ herbeigesehnten Eheschließung gegeben.
Ahnte die reiche, schöne und kluge junge Frau, dass der Mann, der mit seinem Debütroman Die Buddenbrooks Aufsehen erregt hatte, zu Höherem bestimmt war, an dem sie teilhaben wollte? Wer war diese begabte Frau, deren Großmutter, die Frauenrechtlerin Hedwig Dohm, ihre Enkelin lieber als promovierte Naturwissenschaftlerin sehen wollte? Wer war Katia, die innerhalb von vierzehn Jahren Mutter von sechs Kindern wurde? Welche Rolle spielte sie an der Seite des Literaturnobelpreisträgers? Viele persönliche Fragen beantwortet Katia Mann die sich prinzipiell diskret im Hintergrund hielt, in einem Interview mit Elisabeth Plessen 1969 und ihrem Sohn Golo und nimmt dabei „kein Blatt vor den Mund“. Auffallend sind Katia Manns tiefe, lebhafte Stimme und ihre Aufmachung. Weniger feminin ge-prägt, trägt sie zeitlebens eine Kurzhaarfrisur, kleidet sich mas-kulin – manchmal im Herrenanzug mit Krawatte – und kommt damit der homoerotischen Neigung ihres Ehemannes entgegen.
Katia Mann, geboren am 24. Juli 1883, wächst als einzige Tochter des Mathematikprofessors Alfred Pringsheim und der Schauspielerin Hedwig Dohm mit ihrem Zwillingsbruder Klaus und drei älteren Brüdern im hochherrschaftlichen „Palais Pringsheim“ auf. Die luxuriöse Villa der zu enormem Reichtum aufgestiegenen jüdischen Familie gilt bis in die 1920er Jahre als gesellschaftlicher und kultureller Mittelpunkt Münchens. Katia erhält Privatunterricht, legt 1901 in München als Externe das Abitur ab und studiert als eine der ersten Frauen in Bayern Physik und Mathematik., u.a. bei Prof. Röntgen.
Nach ihrer Heirat fokussiert Katia – neben ihrer Mutterschaft und Haushaltsführung – ihre ganze Aufmerksamkeit auf das literarische Schaffen ihres Mannes. Katia ist der Glücksfall seines Lebens, denn sie ist die pragmatische Organisatorin und Finanz-verwalterin der wachsenden Familie. In Friedens- wie in Kriegs-zeiten besorgt sie stets einen störungsfreien Arbeitsplatz für Thomas Mann, der am selben wandernden Schreibtisch in Ruhe sein Werk schaffen kann. Auf einer Erholungsreise nach Venedig mit der Familie und Bruder Heinrich entsteht 1911 Der Tod in Venedig. 1918 besucht Thomas seine Frau Katia in Davos, wo sie sich von einer Lungenerkrankung erholt. Ihre Erfahrungen und seine Beobachtungen verarbeitet er zu seinem Roman Der Zauberberg. Katia, Manns Prinzessin – er ist der Prinz – ist eine mitteilsame Inspirationsquelle. Sein inständiges Werben und die geglückte Hochzeit verarbeitet er in Königliche Hoheit.
Die politische Situation bedrängt die Familie. Das Haus in Mün-chen wird 1933 beschlagnahmt – Thomas Mann hatte sich in seiner Rede Appell an die Vernunft, 1930 gegen den Nationalsozialismus gewandt – und ein Schutzhaftbefehl gegen ihn erlassen. Das Ehepaar Mann findet erst Zuflucht in Südfrankreich, später im Schweizer Küsnacht. Die 1933 in Nidden auf der Kurischen Nehrung (Litauen) errichtete Ferienvilla, wird noch heute als Thomas-Mann-Kulturzentrum gepflegt und zelebriert alljährlich ein mehrtägiges internationales Thomas-Mann-Literaturfest. 1936 wird dem Ehepaar Mann die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen. Die Kinder Erika, Klaus und Mi-chael haben Alkohol- und Drogenprobleme, Monika leidet an Depressionen. Nach dem Einmarsch 1938 der deutschen Trup-pen in Österreich, schiffen sich Katia und Thomas Mann mit Elisabeth in die USA ein und werden dort begeistert empfangen. Nach Ausbruch des 2. Weltkriegs bemüht sich Katia Mann, alle Familienmitglieder ins sichere amerikanische Exil zu holen.
Im großen Anwesen in Pacific Palisades finden Katia und Thomas Mann – einschließlich Personal – ein neues Zuhause und erhalten 1944 die US-Staatsbürgerschaft. 1952 übersiedeln Thomas und Katia Mann nach Zürich. 1954 beziehen die Manns ein Haus in Kilchberg am Zürichsee, 1955 stirbt Thomas Mann und wird auf dem Kilchberger Friedhof begraben. Katia überlebt ihren Mann um 25 Jahre. 1962 erhält sie die schweizerische Nationalität.
In der Ehe mit Thomas Mann geht Katia sowohl über die Höhen einer finanziell gesicherten Existenz als auch durch die Tiefen der Flucht vor den Nationalsozialisten, des Heimatverlustes und des Exils. Auch von schweren familiären Schicksalsschlägen bleibt sie nicht verschont: drei ihrer Kinder sterben vor ihr: 1949 nimmt sich Klaus in Cannes das Leben. Erika stirbt 1969 an einem Gehirntumor. Der Tod Michaels 1976/1977 an Alkohol- und Barbituratenkonsum wird vor der greisen und kranken Mutter geheim gehalten.
Am 25. April 1980 stirbt Katia Mann im 97.Lebensjahr und wird im Kilchberger Familiengrab beerdigt.
Der Literaturkritiker Reich-Ranicki würdigt Katia Mann in seinem Nachruf als „literaturhistorische Figur, […] – in einer Reihe mit Goethes Christiane und Schillers Charlotte“. Zahlreiche Biographien über Katia Mann sind mittlerweile erschienen. Aus dem Interview mit Sohn Michael und Elisabeth Plessen entsteht 1974 Katia Mann: Meine ungeschriebenen Memoiren. Schnell wird klar, dass Thomas Mann ohne seine Frau Katia, die ihm als treue Begleiterin, Ratgeberin, Sekretärin und Vertraute den Rücken fre ihielt, kaum sein riesiges Werk hätte vollbringen können.
Von Evelyn Patz Sievers, August 2025
Literatur:
Katia Mann: Meine ungeschriebenen Memoiren. Hrsg. v. Elisabeth Plessen/Michael Mann. S. Fischer, Frankfurt 1974, Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt 2000.
Hildegard Möller: Die Frauen der Familie Mann. Piper, München/Zürich 2004.
Heinrich Breloer: Ein tadelloses Glück. Der junge Thomas Mann und der Preis des Erfolges, DVA, München, 2024.
Schlagwörter: Frauen, Literatur