Gastbeitrag: Von romantischen Sitten

Die Naturforscherin Maria Sybilla Merian (1647 – 1717) zeichnete zahlreiche Blumengebinde.
An einem Vormittag im Juni auf dem Flughafen von Barcelona wartet eine Elternschar auf die Rückkehr ihrer Kinder von einem Austauschprogramm. Die Ansammlung an Eltern wächst beständig, schwatzend stehen sie im Kreis beisammen. Es nähert sich ein weiterer Vater mit einem Jugendlichen im Schlepptau. Der Junge im Alter der Austauschschüler, die zurückerwartet werden. Besonders gut informierte Mütter kombinieren blitzschnell: „Das muss der neue Freund von Eva sein.“ Warum sonst sollte dieser Junge gemeinsam mit ihrem Vater zum Treffpunkt am Flughafen kommen?
Was macht es so offensichtlich? Dieser, den meisten Eltern unbekannte Junge, trägt einen Blumenstrauß vor sich her. Einen auffallend geschmackvollen Blumenstrauß: Rosé- und Weißtöne, stimmig zusammengestellt, umwickelt mit braunem Papier, Understatement total. Wer eine Neigung für Blumen hat, weiß, dass dies kein Strauß sein kann, den man mal eben so mitnimmt, von einem dieser Stände, an denen Blumen in grünen oder schwarzen Plastikeimern angeboten werden und von denen angenommen werden kann, dass die armen Blumen keine drei Tage überleben werden.
Dieser Strauß wurde mit viel Liebe ausgesucht. – Ganz selbstverständlich trägt ihn dieser Jugendliche vor sich her. Er ist der Einzige im Wartebereich, der überhaupt Blumen in der Hand hält. Er muss spüren, dass ihn alle aus den Augenwinkeln mustern – die aus der Elterngruppe seiner Schule und auch die Fremden, die beständig kommen und gehen, denn es geht zu wie im Taubenschlag an diesem Vormittag an Barcelonas Flughafen.
Er hält diesen Blicken selbstbewusst und selbstverständlich stand. Warum sollte er auch nicht? Denn er kann es augenscheinlich kaum erwarten, dass seine Freundin nach einer Woche im fernen Deutschland nun bald wieder vor ihm stehen wird. Und wohl hoffentlich freudig überrascht sein wird, ob seiner liebevollen Geste mit diesen wunderschönen Blumen.
Es wird getuschelt im Kreis der wartenden Eltern und Geschwisterkinder. Verzückt sind sie alle: „Ein Blumenstrauß!“ „Für Eva!“ „Von ihrem Freund!“ „Wie toll ist das denn?!“ „So süß!!!“ „Ich will auch!“ „Ooohhh!“ Kein abfälliger Kommentar ist zu vernehmen; nur Nettes, Positives, Bewunderndes. Eine Geste aus fast ferner Zeit, Nostalgie liegt in der Luft. Dieser junge Mann berührt die Gedanken generationsübergreifend.
Als sich die Schiebetüren zum Sicherheitsbereich endlich für die Austauschgruppe öffnen, ist jede Familie auf ihr eigenes Kind fixiert. Es wird umarmt, gedrückt, geherzt. Gänzlich aus den Augen verloren ist dieser Junge mit seinen Blumen, so dass die Verfasserin nicht sagen kann, ob und wie sehr sich Eva über dieses Begrüßungsgeschenk freut. – Dieser Moment gehört einfach nur den beiden jung Verliebten.
Es ist zu hoffen, dass Evas Herzchen ein bisschen schneller schlägt, zum einen durch das Wiedersehen mit ihrem Freund, aber bestimmt auch beim Anblick dieser kleinen und feinen Blumenköpfchen, die stolz der spanischen Hitze trotzen. Kann etwa die Hoffnung gehegt werden, dass es wieder mehr junge Menschen geben wird, die die Sprache der Liebe, der Hoffnung und der Sehnsucht durch Blumen auszudrücken vermögen?
Von Katrin J. Wagner, August 2025
Schlagwörter: Moderne Welt