Editorial Nr 172: Was machen wir mit der „Tochter unserer Zeit“?
Zu Beginn des neuen Schuljahres hat der TaschenSpiegel den neuen Schulleiter der Deutschen Schule Barcelona Michael Röhrig interviewt. Auf die Frage nach dem Einfluss der künstlichen Intelligenz auf Schulalltag und Lernprozess machte er deutlich, dass er seine Kinder auf jeden Fall von Menschen zu Menschen erzogen wissen möchte. Mit diesem Satz hat er es perfekt zusammengefasst.
Ich wollte es aber nicht dabei belassen und habe mir das Buch „Technopolitique”, veröffentlicht bei Seuil 2024, aus dem Bücherschrank geholt. Die Autorin Asma Mhalla erscheint mir besonders geeignet, uns zu dem Thema zu erhellen, weil sie die KI in jedweder Hinsicht untersucht hat. Ohne zu sehr in die historische Entwicklung seit 1943 einzusteigen, zogen mich einige Analysen besonders in den Bann. Sie erläutert, wie die KI, wie wir sie heute kennen, sehr viel zur Innovation in den Feldern der prädiktiven Medizin, des fahrerlosen Fahrens oder der Datenanalyse beisteuern kann, um nur einige zu nennen. Die Prozesse werden schneller, wir können eine Vielzahl an Daten bearbeiten lassen. Davon hätten wir früher nur träumen können.
Mhallas Meinung nach geht es dabei nicht so sehr darum, ob die Maschine den Menschen ersetzt, sondern wie der Mensch mit der Maschine zusammen-leben kann. Wir kommen also nicht umhin zu erkennen, dass die KI nicht plötzlich an die Tür klopft und wir noch entscheiden können, ob wir sie reinlassen oder nicht. Sie ist die „Tochter unserer Zeit“, mit der wir uns vernünftig auseinandersetzen müssen. Wir sind durch sie in einen kulturellen und ideologischen Kampf verstrickt.
Dahinter steht nicht die Anonymität, sondern Entscheider der BigTech, die nach noch mehr Macht streben. Wir nutzen ChatGTP, um effizienter zu werden. Die Maschinen werden mit Deep-Learning getrimmt zu immer feineren Ergebnissen. Dabei ist klar, dass die Algorhythmen allein auf Wahrscheinlichkeiten beruhen und keinesfalls auf eigenständigem, deduktivem Denken.
Mhalla zitiert wiederum auch Hannah Arendt, die beschreibt, wie die Individuen immer mehr zu einer Masse mit zerfallenden Familienstrukturen werden. Der und die Einzelne fühlt sich alleine und isoliert von anderen, was wiederum zu einer Verringerung ihrer politischen und bürgerlichen Verantwortung führt. Es kommt zu demokratischer Ermüdung, die nach einer Lösung oder gleich einem paternalistischen Heilsbringer sucht.
Das Thema ist sehr vielschichtig und unser Editorial reicht nicht aus, um darauf detaillierter einzugehen. Der deutsche Philosoph Nietzsche fasste es so zusammen: Entweder der Mensch entwickelt sich weiter oder er geht unter.
Von Ina Laiadhi, Chefredakteurin, September 2025
Schlagwörter: Moderne Welt