Kunst und Sozialismus als Utopie
Was soll man schreiben in Zeiten von Corona oder was will man lesen in Zeiten von Corona? Welche Beiträge über die Kunst sind jetzt sinnvoll und interessant? Die Kunstszene leidet in diesen Zeiten weltweit, nicht nur Künstler, sondern auch Galerien und Museen. Es gibt aber auch zahlreiche Projekte, bei denen sich die Künstler virtuell zusammenschließen und richtig spannende Aufführungen schaffen.
In der Kunstgeschichte gibt es verschiedene Schwerpunkte, mit denen man sich befassen kann. Ein wenig beachtetes Gebiet sind theoretische Schriften über den Sinn der Kunst von namhaften Kunsthistorikern oder von großen Künstlern selbst. Herausragende Beispiele hierfür gibt es von den Kunstgöttern der Renaissance Leonardo da Vinci und Michelangelo.
Bei der Wahl des Künstlertextes kommt man aber wieder zum Anfangssatz – was will man in Zeiten einer Pandemie lesen? Die Wahl fiel letztendlich auf William Morris, auch da sein künstlerisches Schaffen einem kunstinteressierten Publikum in Barcelona noch durch eine Ausstellung im MNAC in Erinnerung sein dürfte. Zudem stellt er die Kunst nicht in das Zentrum seiner Gedanken, sondern die Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen, auch mit Hilfe der Kunst.
William Morris (24.03.1834–03.10.1896) will mit seinen Schriften die Welt zu einem lebenswerteren und gerechteren Ort machen, besonders auch für die benachteiligte Bevölkerung. Seine Texte sind zumeist Mitschriften von Vorträgen oder Nachdrucke von Zeitungsveröffentlichungen. Er war ein Intellektueller, der schrieb und aufklärte, aber auch selbst im künstlerischen Handwerk tätig und ausschlaggebend bei der Gründung der Arts & Crafts Bewegung beteiligt war. Er war aber auch ein überzeugter Sozialist und viele seiner Ideen sind schon bei Karl Marx oder John Ruskin zu finden. Morris beklagt aber, dass Marx in seiner Gesellschaftstheorie das elementare Bedürfnis des Menschen nach Schönheit zu wenig beachtet. Er war ein Ökologe, der die Natur nicht ausbeuten wollte, sondern sie als Lebensgrundlage und Quelle von Schönheit ansah, was ihn zum Erzvater der Grünen machte. Er war Zeuge der Auswüchse der frühen Industrialisierung in England und wurde zum überzeugten Gegner des Turbokapitalismus. Kolonisation, Unterdrückung, Ausbeutung und Krieg haben für ihn ihren Ursprung allein in der Gier nach Geld und Macht. Die Städte ohne Grün und mit verschmutzten Flüssen sind ein Resultat dieser Gier. Die Reichen leben gut, die Arbeiter aber in der Katastrophe. Morris ist ein entschiedener Gegner von Überproduktion. Vielmehr sollte nur produziert werden, was der Mensch nötig hat. Die Arbeit soll Freude bereiten, aus diesem Grund sollen entweder Dinge hergestellt werden, die zum Leben notwendig sind, oder Werke deren Herstellungsprozess allein schon ein Genuss ist. In einem überlieferten Gespräch mit Oscar Wilde hat er diesem erklärt: „Ich habe versucht, aus jedem meiner Arbeiter einen Künstler zu machen, und wenn ich sage, einen Künstler, so meine ich einen Menschen“. Interessant ist auch, dass er den Frauen eine aktive und den Männern gleichberechtigte Rolle zuteilen möchte. Morris beschreibt die drei Hauptgruppen, die es zu überwinden gilt, wie folgt: „Zuerst kommt die Dame, die durch Erbschaft oder Heirat zu Geld gekommen ist und ein abgesichertes, aber untätiges Leben führt. In der nächsten Gruppe sind die Angestellten und Dienstmädchen, die Aschenbrödel und in der dritten Gruppe sind die Prostituierten.“
Die Texte von Morris, sind heute, 130 oder 140 Jahre nach ihrer Veröffentlichung noch spannend zu lesen und erstaunlich aktuell. Seine utopischen Ansätze verdienen es, diskutiert und auch kritisch hinterfragt zu werden. Gerade jetzt wäre es doch ein Trost, wenn sich seine folgende Hoffnung, erfüllen würde: „Stell Dir vor, die Menschen leben in kleinen Landgemeinden unter Gärten und grünen Feldern, so dass man nach einem Spaziergang von fünf Minuten in offener Landschaft ist; stell dir vor, sie hätten wenig Bedürfnisse, fast keine Möbel zum Beispiel, und dächten über die schwierige Kunst nach, sich am Leben zu freuen. Stell dir vor, sie würden wirklich versuchen herauszufinden, was sie eigentlich wollen. Dann, meine ich, bestünde Hoffnung, dass Zivilisation tatsächlich begonnen hat.“
Von Gabriele Jahreiß
Schlagwörter: Europa, Geschichte, Kultur, Moderne Welt