Wiederentdeckung des katalanischen Komponisten Jaume Padrós

Elisenda Padrós, Christian Benning, Ronald Grätz und Alicia Padrós nach dem Konzert im Auditori. Foto: laiadina
Vor dem Konzert im März in der ESMUC traf ich Alicia und Elisenda Padrós, die Töchter des Komponisten, die nach Barcelona gereist waren, um gemeinsam mit der Akkordeonistin Olga Morral vor dem Konzert einige Facetten des Werkes ihres Vaters vorzustellen.
Was ist von der Arbeit Ihres Vaters, Jaume Padrós erhalten geblieben?
Elisenda: Die Partituren seiner Kompositionen sind in Ulm in der Stadtbibliothek zentral archiviert und katalogisiert. Abgesehen davon denke ich, hat er viel durch seine Schüler weitergegeben. Er hat gut 50 Jahre lang in Ulm gelebt und dort bzw. an der baden-württembergischen Musikhochschule Trossingen Klavier unterrichtet. Durch seinen Stil und seine Vorstellungen hat er ganze Generationen von Pianist*innen und Musiker*innen geprägt.
Wie würden Sie seinen Stil beschreiben?
Alicia: Bei den Kompositionen sprechen wir von einer zeitgenössischen, sehr anspruchsvollen Musik. Das andere Element war: vermitteln. Es war eines seiner Ziele, Musik zugänglich zu machen. Neben dem Klavierunterricht an der Musikhochschule hat er einige Schüler teils Jahrzehnte lang privat musikalisch betreut. Manche seiner Schüler und Schülerinnen hatten durch ihn ein sogenanntes „Erweckungserlebnis“, also einen Zugang zur Musik gefunden.
Daneben hat er Konzertreihen konzipiert, an denen er zum Teil selbst teilgenommen und mit anderen Musikern Werke aufgeführt hat. Die langjährige Konzertreihe „Musik aktuell“ hat er mit der Volkshochschule in Ulm organisiert, wo die in den 60er und 70er Jahren noch nicht so bekannte zeitgenössische Musik und andere damals unbekannte Werke vorgestellt wurden.
Ihr Vater liebte Folklore und spanische Volkslieder?
Elisenda: Spanische und katalanische Folklore interessierte ihn, das Volksliedgut im Besonderen. Er konnte Anregungen daraus ziehen für seine eigenen Kompositionen oder auch für sehr viele Chorarrangements für Volkslieder. Das war eine gute Inspirationsquelle für ihn. Ein anderes Beispiel für seine Wertschätzung des traditionellen Kulturguts: Unsere Großmutter kannte unglaublich viele pfiffige Sprichwörter und Redensarten, die unser Vater bei vielen Gelegenheiten an uns weitergab.
Alica: Er steht damit in einer Tradition bekannter, spanischer Komponisten wie Manuel de Falla oder Enrique Granados, die sehr viel Inspiration aus der populären Musik gezogen haben. Wir haben damals auch als Kinder davon profitiert, weil wir mit ihm viele dieser Lieder gelernt haben. An Weihnachten haben wir in der Familie katalanische und spanische Weihnachtslieder gesungen, mit unserem Vater am Klavier. Eva Marie Wolff, unsere Mutter war Opernsängerin, die uns viele englischsprachige Lieder lehrte. Es war ein vielsprachiges Ambiente bei uns, Multikulti würden man heute sagen.
Gerade sind Sie im Projekt engagiert, eine musikalische Brücke zwischen Deutschland und Katalonien zu bilden und das Werk ihres Vaters hier wieder bekannter zu machen.
Alicia: Eigentlich ist das eine sehr persönliche Verknüpfung. Jaume Padrós war mehr bezogen auf den Moment und die Personen, mit denen er zusammengearbeitet hat. Er ist über einen persönlichen Kontakt nach Deutschland gekommen und dort hängengeblieben, weil die dortigen Arbeitsbedingungen sehr gut und für ihn anregend waren. Die private und familiäre Verbindung zu Katalonien ist zwar nie abgebrochen, aber auf professionell-musikalischer Ebene war Jaume Padrós hier bald nicht mehr aktiv. Das Bild der Brücke zwischen Katalonien und Deutschland hat Ronald Grätz gefunden, der Leiter des Goethe Instituts Barcelona. Ronald und ich sind bereits sehr lange miteinander bekannt. Eines Tages haben wir im Gespräch sehr viele Anknüpfungspunkte dafür entdeckt, die Musik von Jaume Padrós im Rahmen der Arbeit des Goethe-Instituts Barcelona aufzugreifen. Mein Vater hat diese kulturelle Brücke tatsächlich gebildet, aber selbst nie so genannt. In letzter Zeit haben erfreulicherweise einige Musiker hier in Katalonien ihn wiederentdeckt, spielen seine Werke und engagieren sich dafür.
Wie anerkannt war er in Spanien?
Alicia: Er hat in seiner Jugend zu Anfang seiner Karriere einige Preise gewonnen. Nachdem er seine berufliche Karriere nach Deutschland verlegt hatte, dort auch mit unserer Mutter unsere Familie gegründet hatte, war er hier immer weniger präsent.
Elisenda: Unser Vater war selbst eine Brücke. Er hat sich nicht bemüht, Brücken zu bauen, sondern hat die verschiedenen Kulturen in sich und in seinen Werken wie selbstverständlich vereinigt. Wenn man sich die Titel seiner Werke anschaut, dann finden wir deutsche, spanische oder katalanische, weil sie jeweils auf Texten, Ideen, Gedichten oder philosophischen Schriften aus diesen drei Kulturen beruhen. Er war ein Verfechter des Katalanischen, aber nicht anti-spanisch, sondern eben als seiner eigenen Kultur. Er hat seinen Studenten vermittelt, dass alle Kulturen tolle Musiker und Dichter hervorgebracht haben und man keine Grenzen ziehen solle.
Alicia: Jaume Padrós hat erst am Ende seiner Zeit in Barcelona zu seinem eigentlichen Kompositionsstil gefunden hat. Das kam durch die Beschäftigung mit den Kompositionen von Arnold Schönberg, Alban Berg und Anton Webern, deren gesamte Klavierwerke er als erster Pianist in Spanien 1954/55 zur Aufführung brachte. Nach seinem einjährigen Studienaufenthalt in Paris ließ er sich 1956 in Deutschland nieder und bezeichnete sein erstes, wichtiges Werk Sonata, von 1956 als sein Opus 1. Weil er sich selbst nie vermarktet hat, konnte er in Spanien als Komponist gar nicht bekannt werden.
Ihr Vater hat sich in Deutschland niedergelassen. Hat Ihr Vater Ihnen etwas über Spanien oder den Bürgerkrieg erzählt?
Elisenda: Da er Jahrgang 1926 ist, hat die Bürgerkriegszeit ihn geprägt.
Alicia: Er ist in Igualada aufgewachsen, ein kleines, aber aufgewecktes Städtchen. Es gab zum Beispiel eine Montessori-Schule oder den fortschrittlichen Verein Ateneu Igualadí*. Ein Umbruch war, als er mit 13 Jahren nach Montserrat zu den Sängerknaben der Escolania** kam, wo er eine musikalische Ausbildung erhielt und auch Klavier spielen lernte. Vom familiären Hintergrund war ihm dieser Weg nicht unbedingt in die Wiege gelegt worden. Nach ein paar Jahren wurde er an die Academia Marshall nach Barcelona empfohlen, die von Enrique Granados gegründet worden war und wo er Unterricht bei der großen Pianistin Alicia de Larrocha und Frank Marshall hatte.
Der Krieg selbst war nicht ständig thematisiert. Aber trotz seiner Jugend hat er stark empfunden, dass das Leben atmosphärisch nach 1939 anders war. Er hatte eigentlich nicht vor zu emigrieren, denn er war kein politischer Mensch. Durch seinen Studienaufenthalt in Paris hat er aber wohl gemerkt, dass er dort ganz anders „atmen“ konnte. Das hat sich dann in Deutschland verstärkt, wo es bessere professionelle Möglichkeiten für ihn gab.
Hat er sich für die katalanische Unabhängigkeit interessiert?
Elisenda: Der katalanische Separatismus war zu seinen Lebzeiten gar nicht so ausgeprägt. Also: nein. Aber er war Katalanist wegen der Kultur und weil Katalanisch seine Muttersprache war. Selbstverständlich wurde das privat gesprochen und gepflegt. Er hat die politische Zuspitzung nicht mehr erlebt.
Warum hat es so lange gedauert, um ihn „wiederzubeleben“?
Alicia: Jedes Ding hat so seine Zeit. Auch in Deutschland war es ruhiger um seine Musik geworden. Aber gerade im Kreis der Akkordeonisten war er weiter sehr anerkannt. Hugo Noth, Professor für Akkordeon an der Musikhochschule in Trossingen und ein hervorragender Musiker, war ein enger Freund, mit dem er viel zusammengearbeitet hat. Unser Vater war sehr daran beteiligt, das Akkordeon als seröses Konzertinstrument zu etablieren. Er war fasziniert von seinen überraschend vielen Möglichkeiten in seiner chromatischen Variante, als er es kennenlernte. Er experimentierte in seinen Kompositionen mit verschiedenen Besetzungen. Nach seinem Tod 2007 haben Schüler und Freunde ihn natürlich weitergespielt.
Elisenda: Keiner von uns drei Kindern hat eine musikalische Laufbahn eingeschlagen: Wir lieben alle zwar Musik, aber um so etwas anzustoßen, muss man vernetzt sein. Aber wir hatten das Glück, dass jetzt auf mehreren Schienen gleichzeitig das Interesse wächst. Die Akkordeonistin Olga Morral ist sehr engagiert, dass er hier gespielt wird. Das Ensemble El Violoncel desconegut, das sich um die Wiederaufführung weniger bekannter oder vergessener katalanischer Komponisten kümmert, ist mit uns in Kontakt getreten. Es gibt eine gewisse Dynamik, die mit dem 100. Geburtstag von Jaume Padrós 2026 zusammenhängt.
War das Akkordeon sein Lieblingsinstrument?
Alicia: Er hatte sicher kein Lieblingsinstrument. Was ihn interessierte war etwas auszuloten, nachzudenken, wie kann man dafür schreiben. Die Beschäftigung mit dem Akkordeon war eine wichtige Etappe, weil es eine Pionierleistung für dieses Instrument war. Daran kann man gut sehen, was ihn als Komponist bewegt hat. Bei seinen Schlagzeugkompositionen ging es ihm darum, mit möglichst wenig Elementen möglichst viel rauszuholen. Er liebte das Tüfteln und Puzzeln, das Arbeiten mit dem Vorhandenen. Oft waren Literatur und Philosophie die Inspirationsquelle für seine Stücke. So hat ihn der Text Über das Schöne und Passende des Kirchenvaters Augustinus angeregt, ein Stück zu komponieren, zu dem Fotos von Schmuckstücken eines befreundeten Goldschmieds projiziert wurden.
Hat er auch Texte geschrieben?
Ausführliche Abhandlungen zu Musik hat er nicht verfasst, aber sein eigener Zugang zu Musik war sehr reflektiert. So hat er sowohl für die Konzerte der erwähnten Volkshochschulreihe „Musik aktuell“ viele Einleitungstexte beigesteuert als auch für seine eigenen Kompositionen erklärende Hinweise geschrieben. Dem Publikum Wege zur Musik zu vermitteln, war ihm ein Anliegen.
Erzählen Sie uns eine Anekdote über Jaume Padrós.
Elisenda: Eine zentrale Erinnerung an unsere Kinderzeit ist, dass wir zur Schlafenszeit im Bett liegen. Unser Vater hat dann noch Klavier geübt. Also nicht Klavierstücke gespielt, sondern sie geübt. Das hatte für mich etwas sehr Beruhigendes. Wenn ich jetzt so etwas höre, dann könnte ich noch heute direkt einschlafen. Dabei hatte seine zeitgenössische Musik natürlich nichts mit einem Schlaflied zu tun.
Alicia: An der Musikhochschule war er bekannt für seine Disziplin. Wenn er mal bei den Studentenfesten bis 3 oder 4 Uhr morgens mitgefeiert hat und wenn für halb neun die erste Unterrichtstunde angesetzt war, war er immer pünktlich vor Ort. Er wollte in diesem Sinne keine Extrawurst als Professor bekommen und auch in sonst keiner Situation. Er war immer gewissenhaft und diszipliniert.
Jaime oder Jaume Padrós?
Alicia: In Deutschland hat er sich immer „Jaime“ genannt, weil ihm die deutsche Aussprache von „Jaume“ zu nah an dem fast gleichnamigen Shampoo „Schauma“ lag. Sie lachen.
Alicia, Elisenda, vielen Dank für das interessante Gespräch.
Von Ina Laiadhi, April 2024
Infos:
*Ateneu Igualadí– Gegründet 1863 mit dem Ziel, die Bildung der Arbeiterklasse zu fördern. 1939 wurde es aufgelöst und als „Nationales Zentrum“ bis zum Ende der Franco-Diktatur genutzt.
https://www.ateneuigualadi.cat/historia-de-lentitat/
**Musikschule Escolania in Montserrat
https://www.escolania.cat/es/escolania/#historia
Schlagwörter: Barcelona, Biografisches, Kultur, Musik