Barcelona hat die weltbeste öffentliche Bibliothek!
Am 21. August 2023 fiel beim diesjährigen Kongress der Internationalen Vereinigung bibliothekarischer Verbände und Institutionen (IFLA) im niederländischen Rotterdam die Entscheidung: Die Biblioteca Gabriel García Márquez in Barcelona wurde in diesem Jahr zur besten Bibliothek der Welt gekürt! Und zwar noch vor Krškov (Slowenien, 2. Platz), Parramatta (Australien), Shanghai (China), obwohl die letzten beiden öffentlichen Bibliotheken fünfmal größer sind. Die Nachricht schlug ein wie ein Blitz und wurde gebührend gefeiert.
Nun fragt man sich: Welche Kriterien zählten bei dieser Wahl?
Welche besonderen Merkmale besitzt diese Bibliothek, um den Wettbewerberinnen den Rang abzulaufen? Ferran Burguillos, Geschäftsführer des Bibliothekenverbandes Barcelona, fasst die ausschlaggebenden Punkte für die Wahl zur Gewinnerin zusammen: Interaktion mit der Umgebung und der lokalen Kultur, architektonische Qualität des Gebäudes, Flexibilität von Raum und Dienstleistungen, Nachhaltigkeit, soziales Engagement und didaktisches Angebot, Digitalisierung und technische Neuerungen, kurzum die Erfüllung
• von Zielvorstellungen der nachhaltigen Entwicklungspläne der Vereinten Nationen und
• der Zukunftsvision der IFLA im Dienstleistungssektor.
Schauen wir uns die Biblioteca Gabriel García Márquez einmal genauer an:
Eingeweiht wurde das nach dem Entwurf der Architekten Elena Orte und Guillermo Sevillano vom Architektenbüro SUMA Arquitectura errichtete hochmoderne Gebäude im Mai 2022. Mit dem Premi Ciutat de Barcelona de Arquitectura 2022 ausgezeichnet, besticht das aus sechs Etagen bestehende Bauwerk vor allem durch die Struktur aus Holz, die insgesamt über 4.000 m² des Hauses – innen wie außen – bekleidet. Das spektakuläre Gebäude befindet sich in der C/Treball, 219 des Distrikts Sant Martí de Provençals. Die Innenausstattung setzt auf Nachhaltigkeit, Nutzung alternativer, klimaneutraler Energiequellen, Verbesserung des internen Luftaustausches und Wasserverbrauchs und Verwendung von klimaschützenden Materialien, wodurch die Bibliothek im internationalen Wettbewerb zusätzlich die Gold LEED Zertifizierung erhielt.
Die Bibliothek ist auf lateinamerikanische Literatur spezialisiert. Was liegt also näher, als diesem auf Lektüre fokussierten Gebäude den Namen des Literaturnobelpreisträgers von 1982 Gabriel García Márquez zu verleihen? Wer kennt nicht den „magischen Realismus“, den der kolumbianische Autor und Journalist in seinen berühmtesten Romanen „Hundert Jahre Einsamkeit“ und „Die Liebe in Zeiten der Cholera“ entfaltet? Der letztgenannte Roman zählt für mich zu einer der bewegendsten Liebesgeschichten, die ich jemals gelesen habe. Weniger bekannt ist die Tatsache, dass der Schriftsteller mit dem Kosenamen „Gabo“ von 1967 bis 1975 in Barcelona lebte. Demnach bedeutet die Bibliothek eine posthume Ehrung Barcelonas an den Nobelpreisträger.
Die Besuchsziffern der Bibliothek sind überwältigend: bis Juli 2023 betraten über 300.000 Benutzer die Biblioteca Gabriel García Márquez. Die bedeutendsten Pluspunkte der Bibliothek liegen vor allem in der Integration der Nachbarschaft sowie den kulturellen Angeboten – Workshops, Vorträge, digitale Lehrsysteme, etc. – im Stadtviertel Sant Martí, weit ab von den touristischen Sehenswürdigkeiten Barcelonas. Immerhin zählt Sant Martí über 240.000 Einwohner und strotzt vor Vitalität und gesellschaftlichen Aktivitäten.
In weiteren Zahlen ausgedrückt stehen dem Leserpublikum der BGGM über 40.000 Bücher und Dokumente zur Verfügung. Die Bereiche sind aufgeteilt in übliche Themen einer Bibliothek wie Kinderliteratur, Fiktion, Belletristik, Sachbuch, Essay, Comic, Filme, Radio, Musik, etc. Obwohl für einen Besuch kein Benutzerausweis erforderlich ist, wurden im 1. Jahr 6.000 neue Ausweise erstellt, 200.000 Bücher ausgeliehen und etwa hundert Aktivitäten innerhalb der Räumlichkeiten durchgeführt. Das Leseangebot der Bibliothek ist vielfältig, hauptsächlich in den Landessprachen Katalanisch und Spanisch, aber auch internationale Literatur, Lehr- und Kinderbücher und ein reichhaltiges Angebot an Tageszeitungen sind hier vertreten.
Einem populären Bewohner des Stadtviertels Sant Martí, der im Juli verstarb, ist ausdrücklich ein Raum gewidmet: alle unter der Feder des bekannten Zeichners von Comics Francisco Ibañez entstandenen Figuren, seine Vita und die Geschichte des Verlags Bruguera sind hier zu betrachten.
Es ist ein wunderbares fast befreiendes Gefühl, diese Bibliothek zu betreten. Ich habe die Bibliothek an einem Samstag-morgen besucht (bequem mit dem Bus H12 zu erreichen) und war beeindruckt von der Helligkeit und der Natur, die durch die riesigen Glaswände und vom unteren Stockwerk – wo sich u.a. die Radiostation und der Veranstaltungssaal befinden – bis zur oberen 4. Etage dringen. Auf allen von oben nach unten einsehbaren Ebenen befinden sich weiße, kleine und große runde Tische, Banken, Regale mit Büchern. Es wird die Treppen hinauf und hinabgestiegen – ein Fahrstuhl ist selbstverständlich auch vorhanden -, das Kommen und Gehen von Personen aller Altersklassen und Familien mit Kindern ist konstant, doch ebenso viele Menschen sitzen an Computern, lesen eine Zeitschrift oder ein Buch. Die BGGM wirkt wie ein überdimensioniertes gemütliches Wohnzimmer, in dem man zusammenkommt, Bekannte trifft oder einfach nach draußen auf die umgebenden Bäume schaut und abschaltet. Ob auf Hockern, in Körben oder sogar in der Hängematte – für jeden ist ein bequemer Platz vorhanden. Hier entspannt man sich und kann in Ruhe in einem Buch, einer Zeitschrift oder Zeitung neue Eindrücke aus der Literatur oder Aktualität gewinnen.
Zusammen mit den 40 Stadtbibliotheken Barcelonas und den fast 5 Mio. Besuchern im Jahr beglückwünschen wir die Biblioteca Gabriel García Márquez zu diesem überaus sehens-, unbedingt besuchens- und nachahmenswerten Kulturprojekt!
Von Dr. Evelyn Patz Sievers, September 2023
Schlagwörter: Barcelona, Kultur