Das Gespür des Verlegers ist die Essenz
Interview mit der Verlegerin Sigrid Kraus
Wir treffen die Verlegerin Sigrid Kraus in einem mit Büchern und Bücherregalen ausgekleideten Besprechungssaal im Verlagshaus Salamandra, dessen großzügigen Fenstertüren auf eine wunderbare Terrasse mit rosa abendlichem Weitblick auf das Collserola gehen.
Wie sieht die Arbeit einer Verlegerin aus?
Das kommt ganz darauf an, ob man in einer großen Verlagsgruppe oder einem sehr kleinen Verlag arbeitet. Ich habe alles gesehen, weil ich während meines Studiums bei einer Tochtergesellschaft von Bertelsmann in London gearbeitet habe. 1991 hier in Spanien beim Bertelsmann Buchclub hatte ich meinen ersten richtigen Job. Da verbringt man sehr viel Zeit in Meetings, redet viel über Zahlen und muss überlegen, wie man was innerhalb der Firma an den Mann bringt und Unterstützung bekommt. Später bin ich bei meinem Mann in den ganz kleinen Verlag Emecé Editores España, die Filiale des renommierten Verlagshauses Emecé in Argentinien, eingestiegen, wo von drei Mitarbeitern alles erledigt werden musste: Postgänge, Verhandeln über Rechte, Bücher aussuchen, den Druck vorbereiten, die Farbgebung des Umschlags freigeben und das Titelblatt gestalten. Jetzt bin ich in der glücklichen Position, das zu machen, was mir am meisten Spaß macht: die Bücher aussuchen, sehr viel lesen, mit Agenturen, Autoren und befreundeten Verlegern international im Kontakt stehen. Sehen, was mich reizt, woher weht der Wind, was könnte mich interessieren. Und das dann im Verlag mehr und mehr in ein Buch zu verwandeln.
Was gefällt Ihnen am besten an Ihrer Arbeit als Verlegerin?
Das Lesen. Ich lese 3-4 Bücher pro Woche, von vorn bis hinten und dann tagtäglich ein paar Seiten verschiedener Bücher, anlesen hier, anlesen dort, um zu entscheiden, was ich dann wirklich lese. Hier im Verlag lesen wir viel und unterhalten uns dann auch darüber, was in anderen Verlagen nicht üblich ist.
Auf Ihrer Web-Seite bezeichnen Sie sich als “unabhängigen Verlag”. Was verstehen Sie darunter?
Mein Mann und ich sind die Besitzer des Verlags Salamandra. Das macht einen Riesenunterschied, wenn man sich für ein Projekt entscheidet. Keiner kann einem reinreden. Man kann Projekte angehen, die auf den ersten Blick vielleicht nicht so viel Sinn machen. Oder man macht etwas aus Liebhaberei, wobei man manchmal auch Geld verliert, aber das ist dann das eigene Geld. Man sieht es bei den Verlagen, ob sie diese Möglichkeiten haben oder nicht, d.h. wie der Verlag sich darstellt, welche Bücher er verlegt und welche nicht. Eine Trade-Marke, wie wir sie aufgebaut haben, lässt sich nicht aufbauen, wenn man nicht unabhängig ist. Man hat sonst zu viele Abteilungen, die in ein Projekt mit hineinreden. Dadurch verliert sich die Essenz, nämlich das Gespür des Verlegers, das ist das verbindende Element in allem, was Sie hier sehen.
Der erste große Erfolg von Salamandra war die Veröffentlichung der Harry Potter-Bücher auf Spanisch. Wie ist es dazu gekommen?
Das hat auch daran gelegen, dass wir ein unabhängiger Verlag sind. Ein befreundeter Agent aus London riet mir zu diesem ungewöhnlichen Buch, kurz nachdem er das Buch von der Autorin akzeptiert hatte. Da es ihm so besonders gefallen hatte, fragte er, ob ich es nicht auch mal lesen wollte. Da wir außer mit dem kleinen Prinz keine Erfahrung mit Jugendbüchern hatten, habe ich es lange liegen gelassen. Mein Freund drängte weiter, so dass ich es einem auf Jugendliteratur spezialisierten Leser gab. Der hat es als zu altmodisch abgelehnt. Mein Freund drängte weiter, denn er wollte meine Meinung hören und so habe ich es dann schließlich selbst gelesen. Und fand es so wunderbar, dass ich beschloss, es zu kaufen. In einem großen Verlag wäre es sicher schwer gewesen, solch ein aus der Reihe tanzendes Buch dem Verkaufschef schmackhaft zu machen.
Können Sie uns etwas erzählen über den Prozess vom Manuskript des Autors bis zum fertigen Buch.
Das Buch, das uns über eine Agentur angeboten wird, lese ich. Danach machen wir ein Angebot, verhandeln einen Vertrag, übersetzen, lesen Korrektur, überlegen uns Umschlag und Titel. Wie wollen wir es in der Presse verkaufen, in den Buchhandlungen vermarkten. Mein Mann schreibt den Klappentext. Ein Autorfoto wird gesucht. Wichtige Journalisten bekommen Vorabfahnen. Wir laden einige zum Essen ein, um über das Buch zu sprechen. Unsere Leute fahren in die Buchhandlungen, um den Boden vorzubereiten. Nach dem Erscheinen gibt es die Rezensionen, gute Platzierung. Guter Umschlag und Titel helfen dem Buch nicht, aber ein schlechter Umschlag und Titel können den Erfolg behindern.
Ist der spanische Markt der wichtigste für Sie oder verkaufen Sie Ihre Bücher auch in Südamerika und den USA?
Wir verkaufen in der ganzen spanischsprachigen Welt. Das ist sehr wichtig für uns, gerade als es in der Krise hier bergab ging, wuchs z.B. der Markt in Südamerika. Es gibt genug Länder, dass man sich immer wieder halten kann. Die USA sind durch die Hispanos auch ein sehr guter Markt geworden.
Qualität und Geld: Was macht ein gutes Buch aus? Der Autorenname? Der wirtschaftliche Erfolg?
Nicht nur der wirtschaftliche Erfolg. Er wird bei uns nicht gesucht, auch wenn wir uns oft Projekte nicht erlauben, die wir gern machen würden, weil sie wirtschaftlich nicht tragbar sind. Wir würden nie ein Buch einkaufen, nur weil wir denken, es würde sich verkaufen. Um es anders zu sagen: ich habe ganz oft Bücher abgelehnt, obwohl ich wusste, dass sie sehr gut laufen würden.
Sie verlegen Autoren sehr unterschiedlicher Nationalitäten. Ungarische, italienische, französische, amerikanische, chinesische, deutsche, afghanische, schwedische. Wenn Sie ein Buch auf den Tisch bekommen – sagen wir auf Indisch -, wie können Sie einschätzen, dass es sich lohnt, eine Übersetzung zu machen usw.?
Ganz selten kaufe ich es ein, wenn ich die Sprache nicht verstehe, das habe ich nur beim 100-Jährigen gemacht, weil eine befreundete Verlegerin aus Schweden mir dazu riet. Ich habe einen Teil vor dem Kauf übersetzen lassen und es nach der Lektüre dann riskiert. Das mache ich sehr, sehr selten. Ich warte sonst darauf, dass es in irgendeiner Sprache erscheint, die ich lesen kann. Da ich mehrere Sprachen lesen kann, muss ich nicht so lange warten.
Welchen Anteil haben die Übersetzungen an dem Erfolg der Bücher?
Gute Übersetzungen sind sehr wichtig. Wir investieren darin sehr viel Geld. Auch wenn die Tendenz in der Verlagswelt ist, immer weniger in Übersetzungen zu investieren. Meiner Meinung nach hängt es sehr von der Übersetzung ab, ob sich ein Buch verkaufen lässt oder nicht. Wir verfügen über ein Netz an freien Übersetzern. Im Haus wird dann auch noch mal redigiert. Vor der typografischen Korrektur lesen oft mein Mann oder ich das Buch noch mal. Manche Bücher werden fünfmal gelesen, was völlig untypisch ist. Es ist viel Arbeit, bis es gut klingt! Mein Ideal wäre, die Übersetzungen auch noch ans Lateinamerikanische anzupassen. Bei Harry Potter haben wir das gemacht. Die Südamerikaner haben es generell akzeptiert, immer im „gallego“, also im hiesigen Spanisch zu lesen, aber die Dialoge zum Beispiel klingen ja doch anders, wenn man sich mit tu oder Vos anredet.
Spielt die Übersetzung eine wichtige Rolle bei der Annäherung der Völker? Welche sind die besten europäischen Bücher, die sie übersetzt haben?
Durchaus! In diesem Sinne ist Khaled Hosseini wichtig, weil seine Bücher dazu beigetragen haben, dass man mehr Verständnis für Afghanistan entwickelt hat. Abraham Vergheses sehr erfolgreiche Bücher tragen dazu bei, Afrika besser zu verstehen. Oder der Ungar Sandor Maraí. Wir brauchen noch mehr übersetzte Bücher. Gerade aus dem arabischen Raum gibt es noch wenig. Es ist egal, ob es sich um fiktive Literatur handelt, denn es geht ja darum ein Gefühl wiederzugeben und einzufangen, damit man das als Leser miterleben kann.
Kennen die Spanier die deutsche Kultur gut?
Von der deutschen Literatur funktioniert nur ganz wenig. Vieles, was in Deutschland geschrieben wird, ist dem Spanier sehr fremd. Die deutsche Literatur fängt jetzt in den letzten Jahren an, sich zu öffnen, aber seit langen Jahren und im großen Ganzen ist sie sehr auf sich selbst bezogen. Sie ist wenig exportierbar. Hoffentlich tut sich da etwas durch dieses multikulturelle Deutschland, das gerade entsteht.
Welche deutschen Autoren haben Sie im Verlag?
Friedrich von Schirach läuft sehr gut. Robert Seethaler, Birgit Vanderbeke oder Rafik Shami, der ja auch auf Deutsch schreibt. Ich habe nur selten das Gefühl, dass jemand so schreibt, dass es funktioniert. Es liegt vielleicht daran, dass ich so vieles von den Büchern aus meinem Heimatland verstehe, von dem ich denke, dass der Leser es hier nicht verstehen kann. Es ist schwer, sich vorzustellen, dass jemand es liest, der die Hintergründe nicht kennt.
Sie wollten immer Verlegerin werden. Haben Frauen leichten Zugang zu diesem Beruf?
Nein. Wir dürfen bis zu einem Zwischenmanagement kommen, an der Spitze gibt es wenige Frauen. Das ist absurd, weil die ganze Basis ein sehr hoher Frauenanteil ist. Da besteht eine Riesendiskrepanz. Frauen lesen auch mehr, sind das breite Publikum. Es gibt mehr Buchhändlerinnen.
Kann eine Verlegerin den Kampf der Frauen besonders gut unterstützen?
Ja. Ich habe in einer Zeit in Spanien angefangen, in der die Verlegerkataloge sehr männlich bestimmt waren, weil man glaubte, dass Frauen sich in der Literatur – nicht im Entertainment – schlechter verkauften. Das lag auch daran, dass es wenig Literaturkritikerinnen in Spanien gab. An der Spitze der Literaturbeilagen saßen hauptsächlich Männer. Dem habe ich viel entgegengesetzt, indem ich viele Autorinnen veröffentlicht habe und plötzlich funktionierten sie so gut, dass die anderen Verlage auch anfangen mussten, mehr Frauen zu verlegen. Insgesamt veröffentliche ich mehr Autorinnen als Autoren. Es war schwer, diesen Zyklus zu durchbrechen, aber es hat sich einiges getan.
Lesen die Leute heute noch viel? Gibt es dazu zuverlässige Statistiken?
Eine kürzlich in Deutschland erschienene Statistik besagt, dass der intellektuelle Leser dem Buch treu bleibt, also das Bildungsbürgertum mit Lehrern, Künstlern etc. Beim Konsumbürgertum hat das Lesen sehr abgenommen, weil die Konkurrenz um die Freizeit mit modernen Kommunikationsmitteln stärker geworden ist. Die sind cooler oder in Mode. Das Buch als Geschenk in Deutschland ist stabil geblieben, das war hier sowieso nie so. Statt Blumen zum Abendessen ein Buch schenken, das macht man hier weniger. Die Käufe sind hier auch wegen der Wirtschaftskrise zurückgegangen. Seit 2008 haben wir zwischen 40-50% verloren.
Wie sehen Sie die Zukunft des gedruckten Buches angesichts der E–Books und des Copyright-Problems durch das Internet?
Das ist in Spanien ein großes Problem, deshalb wächst der Markt der E-Books hier nicht. Der Raubdruck wird von der Gesellschaft allgemein akzeptiert. Solange sich dieses Bewusstsein nicht ändert, kann man da nicht viel machen. Ich habe gelesen, dass man in Deutschland in Studentenwohnheimen eine Klausel unterschreiben muss, dass man keine Raubkopien runterlädt. Wer dabei erwischt wird, fliegt sofort raus. Das zeigt, dass es gesellschaftlich verpönt ist. Hier in Spanien fehlt dieses Unrechtsbewusstsein, besonders unter Jugendlichen. Trotzdem hat das gedruckte Buch eine lange Zukunft. Es ist ein sehr gut ausgedachtes Produkt, das man schwer verbessern kann: es muss als Objekt dreidimensional sein, das Papier ist wichtig. Auch junge Leute lesen nach wie vor Papier. Besonders bei den Kinderbüchern. Das gibt mir viel Hoffnung. Aber wir werden ein kleiner Stamm werden.
In Deutschland haben Hörbücher großen Erfolg…
Das funktioniert in Spanien nicht. Wir haben den ersten Band von Harry Potter gemacht, aber das war ein Reinfall. In Deutschland unterstützt der Börsenverein mit Marktstudien solche Projekte. In Berlin organisiert man im Sommer Treffen, wo man im Liegestuhl gemeinsam Hörbücher hört. Ein tolles Erlebnis.
Haben Sie noch eine kleine Anekdote für uns?
Ich verlege ja keine spanischen Autoren. Ich sage immer, ich musste mich entscheiden, ob ich Mutter sein oder auch noch spanische Autoren in Angriff nehmen wollte. Es ist doch ein sehr ähnliches Verhältnis. Jetzt habe ich zwei Kinder und ausländische Autoren.
Frau Kraus, wir bedanken uns für das sehr interessante Gespräch.
Von Ina Laiadhi und Sabine Bremer
http://salamandra.info/
Schlagwörter: Frauen, Interviews, Kultur, Literatur