Der Blick in die Sterne
Ich bin Jungfrau und deshalb werden sich Konflikte kaum vermeiden Lassen. Fair und gelassen soll ich bleiben. Auch ein neuer Haarschnitt könnte nicht schaden. Mit meinem Chef über Weiterbildung zu sprechen, verspricht jetzt Erfolg. Überhaupt wird mir geraten, neue Pläne für die Zukunft zu schmieden. Also, jetzt weiss ich Bescheid, denn all das steht im Zeichen der Jungfrau heute in der Zeitung in meinem Horoskop. Erstaunlicherweise ist das Sternzeichen Jungfrau das am meisten verbreitete in Deutschland. Wenn jetzt viele Jungfraugeborene das Horoskop gelesen haben, könnte es einen ziemlichen Andrang beim Friseur geben.
Wieso findet man eigentlich in so vielen Zeitschriften über-haupt solche Horoskope? Am 24. August 1930 wurde der Astrologe Richard Naylor von einer Zeitung gebeten, die Sternenkonstellation von Prinzessin Margaret, der Schwester von Königin Elisabeth, zu deuten. Er sagte ihr ein ereignisrei-ches Leben voraus. Das hätte wohl so mancher, auch ohne die Sterne zu befragen, hinbekommen. Aber die Leser fan-den es toll und wollten mehr Voraussagen. Berühmt wurde Naylor, als er für die britische Luftfahrt eine Gefahr voraus-sagte und tatsächlich am Erscheinungstag der Zeitung ein Luftschiff abstürzte. Er erkannte das Potenzial seiner Kolum-ne und schrieb nun für jedes Sternzeichen ein Horoskop, verzichtete dabei auf Sternkonstellationen, Aszendenten, Mond- und Sonnenstand und alles, was sonst noch alles für Voraussagen unter die Lupe genommen werden musste, und schrieb einfach so nette Texte wie eingangs beschrieben und voilá, so kamen die Horoskope in die Zeitung. Und dort sind sie auch weiterhin, mehr zur Unterhaltung der Leser, zu fin-den.
Astronomen sagen, Astrologie sei sowieso keine fundierte Wissenschaft. Deshalb ist es so verwunderlich, dass 61% der vor allem jüngeren Menschen, mehr Frauen als Männer, einer Umfrage nach glauben, dass an dem Horoskop etwas dran ist. Voraussagen waren allerdings auch schon im alten Ägypten beliebt. Dort berechneten die Priester durch ge-naue Beobachtungen der Sterne die glücklichsten Stunden für ihren Pharao.
Entstanden sind die Sternzeichen vor 2.500 Jahren durch die Babylonier. Sie teilten den Himmel in 12 Bereiche, denen sie jeweils eine Figur, einen Namen und eine bestimmte Bedeu-tung gaben. Ob die Sternzeichen und die Konstellation der Sterne bei der Geburt auch wirklich etwas bedeuten, daran haben Astrologen immer wieder getüftelt, vor allem, ob sich gewisse Charaktereigenschaften herauslesen lassen. Es heisst ja, die Jungfrau sei häuslich und bodenständig, der Löwe machtbesessen, der Skorpion hinterhältig usw. 15.000 Stu-denten bekamen, ohne es zu wissen, alle das gleiche Horo-skop, jeder mit den gleichen Eigenschaften und den sich daraus ergebenden Möglichkeiten für ihr Leben. Fast jeder fand es durchaus für sich passend. Sie müssen ziemlich irri-tiert gewesen sein, als sie hörten, dass es ein von einem Astrologen wissenschaftlich erstelltes Charakterbild eines Massenmörders war. Für die Astrologie ein enttäuschendes Ergebnis, denn die Studie zeigte, dass Charaktereigenschaf-ten eben nicht in Verbindung mit Sternzeichen gebracht werden können. Dennoch fragen sich so einige, welches Sternzeichen wäre der ideale Partner für mich? Wer passt charakterlich zu mir? Jungfrau und Stier ergänzen sich angeb-lich hervorragend. Zu dumm, jetzt bin ich doch tatsächlich seit 58 Jahren glücklich mit dem falschen Mann verheiratet – er ist Zwilling!
Von Dixi Greiner, Juni 2023
Schlagwörter: Kultur, Traditionen