„Männerschlussverkauf“
Fakten: Tinder, zu Deutsch Zunder, gibt es erst seit 2012. Tinder ist eine der vielen Dating-Apps zur Anbahnung von Bekanntschaften, Flirts und unverbindlichem Sex, nicht unbedingt in dieser Reihenfolge.
Es wurde erstmalig an einer Universität in den USA verbreitet. 60% der Tinder-User benutzen die App täglich. Tinder ist kostenlos, zusätzliche Funktionen sind jedoch kostenpflichtig. Trotzdem hat Tinder weltweit über 4 Millionen zahlende Nutzer. In der Kritik steht Tinder hauptsächlich wegen zu geringer Datensicherheit. Es gibt sogar den neuen Begriff des Tinder-Stalking, mit dem die Belästigung einer Person eine neue Dimension annimmt.
Das ist eigentlich der Slogan eines bekannten Herren-Bekleidungsgeschäfts in München, aber auch eine passende Beschreibung für das Marketing im Tinderportal.
Von einem Freund gereizt, ich sei wohl zu stolz, um so etwas auszuprobieren, und um die auf eine falsche Person projizierten Frühlingsgefühle in geordnete Bahnen zu lenken, also der Einstieg. Interessant: ich bin voller Respekt gegenüber allen, die sich hier präsentieren, auch wenn manche Fotos eher zu Lachkrämpfen als zu anderem führen. Achtung, mir ist vollkommen bewusst, dass es mit dem Frauenschlussverkauf genauso aussieht. Ich hätte mal eher eine Gebrauchsanweisung durchlesen sollen, bevor ich heftig anfing, durch die Angebote zu wischen. Hier ist die Wischrichtung ausschlaggebend! Tinder benutzt das sogenannte swipe-System, also wenn das Foto erscheint, bedeutet nach rechts wischen ‚gefällt mir‘, nach links wischen ‚kann weg‘. Dann die ersten Likes und Matches. Hat dich der Mann nach rechts gewischt und du ihn auch, dann matched man. Eigentlich wirklich eine Benachteiligung für Linkshänder…
Zuschriften wie „Du scheinst ja eine wilde Löwin zu sein“, zeigen, dass wohl manche Nutzer den Rat des Tinder-Teams annehmen, möglichst kreativ und schnell zu antworten, um die Chancen zu erhöhen. Aber Stop!
Eine normale Zuschrift mit „Guten Tag, ich würde dich gern kennen lernen und wünsche dir noch einen schönen Tag.“ Könnte das ein Hinweis auf gute Erziehung sein? Darauf, dass es auch in der heutigen pornografierten Zeit, in der der Entwicklung eines Kennenlernens und der damit einhergehenden Erotik kaum noch Platz gelassen wird, doch immer noch „Ritter“ gibt? Bin ich hoffnungslos altmodisch und romantisch veranlagt? Das wäre dann der Punkt, an dem frau mit dem Kopfkino anfinge. Wirkt das Universum auch über Handyapps?
Austausch der Telefonummern, Whats Apps, Vereinbarung auf ein Treffen am Nachmittag. Mit einer Person, die man einfach nicht kennt und von der man nicht mal weiß, ob die Erscheinung den hochgeladenen Fotos entsprechen wird. Was beim Treffen von mir erwartet wird, ist mir ziemlich wurscht, um es bayrisch auszudrücken. Ich sehe mich eher als Forscherin, die auch mit 54 noch etwas Neues ausprobieren will und dann sagen kann, ich habe es auch probiert.
Außerdem gibt es einen Auftrag der TaschenSpiegelredaktion für die Sommerausgabe etwas zu schreiben über „rausgehen und was erleben“. Nach dem Treffen habe ich vor, mich wieder abzumelden, da das Wischen mich schon wieder langweilt und mein Interesse somit schon wieder erloschen ist. Bin ich doch eiserne Verfechterin der persönlichen Kontaktaufnahme und auch nicht besonders schüchtern…
… Im Gegensatz zu vielen Kolleginnen, scheine ich ja Glück gehabt zu haben bei meinem einstündigen Twitter-, äh, Tinder-Treffen. Der dauernde Versprecher zeigt schon meine unbewusste Nichtbegeisterung für den aus meiner Sicht zwar sehr pragmatischen, aber eben auch hoffnungslos funkenlosen Kontakt. Ein sehr zuvorkommender Mann in meinem Alter (ich muss ja mal der emotionalen Tendenz zu jüngeren Männern Einhalt gebieten), der zwar etwas älter, aber viel besser aussieht als auf den Fotos, mit dem ich mich gut unterhalten kann. Ja, auch wir Frauen legen Wert auf das Äußere: super sportlich (im Gegensatz zu mir) und ernsthaft an einer Beziehung interessiert (im Gegensatz zu mir). Ja, er habe schon mit vielen verheirateten Frauen Kontakt gehabt, die Abenteuer suchen. Ich wünsche ihm, bald eine Partnerin zu finden, mit der er das Leben teilen kann. Möge das Universum seine Bestellung über die App verwirklichen. Ich weiß, dass Menschen Partner gefunden haben über diese App. Aber… meins isses nich.
Ich erinnere mich gern an Zeiten, in denen das Pausenzeichen und ein schrecklicher Ton das Ende des Fernsehgenusses anzeigten und nicht alles frei verfügbar war. Ja, man musste warten, aber man konnte es noch. Ich kann es noch heute. Die Flamme im Logo der Dating-App taugt in meinem Falle soviel wie ein nasses Streichholz …
Von Ruth Simma
Schlagwörter: Biografisches, Europa, Frauen