Santa María del Mar – Die Kathedrale des Meeres
Packend schildert der spanische Jurist und Autor Ildefonso Falcones in seinem historischen Bestseller-Roman La Catedral del Mar (2006) – ins Deutsche übersetzt von Lisa Grüneisen (2007) – die Geschichte des ehemaligen Leibeigenen Arnau Estanyol, der aus bitterer Armut den sozialen Aufstieg vom bettelarmen Stadtbürger bis zum Seekonsul und Baron schafft und zu Reichtum und Ansehen gelangt.
Die errungene innere und äußere Freiheit des Protagonisten als eines der zentralen Themen soll mittellose zielstrebige Bürger zum Erfolg ermutigen. Eng verwoben sind Falcones Einzelschicksale mit den großen Gesellschaftskrisen des 14. Jahrhunderts wie Liebe, Vergewaltigung, Krieg, Pest, Hexen- und Judenverfolgung und Inquisition. Den Hintergrund des vierteiligen Romans bildet die Errichtung eines gotischen Gotteshauses im bescheidenen Stadtviertel La Ribera (El Born) während der Blütezeit der florierenden Handels- und Hafenstadt Barcelona.
Historischer Fakt – neben den fiktiven Figuren, Orten und Geschehnissen des Romans – ist, dass die neue Kirche in Hafennähe für und durch das Volk von einfachen Reedern und Händlern tatsächlich erbaut und der Schutzpatronin der Seeleute Santa María del Mar gewidmet wird. Das Bauwerk der „Plebejer“ unterscheidet sich von der aristokratisch geprägten gotischen Kathedrale von Barcelona, die in derselben Epoche nur wenige hundert Meter entfernt errichtet wird.
1329 wird der Grundstein des Kirchenbaus gelegt, und zwar an der Stelle einer – erst in den 1960er Jahren bei Ausgrabungen entdeckten – römischen Nekropole des 4. und 6. Jahrhunderts und innerhalb einer Rekordzeit von fünfundfünfzig Jahren 1384 vollendet. Der Architekt Berenguer de Montagut und der Maurermeister Ramon Despuig leiten den Bau, der, aus Spenden reicher Bürger des Viertels und gläubiger Hafenbewohner finanziert, in aktiver Gemeinschaftsarbeit in die Höhe wächst. Die unzähligen Bauarbeiter müssen dafür hartes Granitgestein aus dem Steinbruch Montjuïc transportieren. Eine Huldigung an sie über dem Hauptportal der Basilika mag Ildefonso Falcones inspiriert haben: zwei Lastenschlepper sind dort eingemeißelt, die – wie Arnau Estanyol – in schwerer Knochenarbeit die Steine die Holzgerüste zum Bau dieses Juwels gotischer Architektur hochschleppen.
Hier soll sogar der Apostel Jakobus gepredigt haben. Eine kleine Kapelle innerhalb der Kirche erinnert daran. Im Jahr 304 soll dort der Leichnam der Heiligen Eulalia bestattet worden sein. Die Gebeine der Schutzpatronin Barcelonas wurden 1339 endgültig in die gotische Kathedrale überführt.
Eingeschlossen von engen Gassen öffnet die Plaça de Santa Maria und der rechts gelegene Fossar de les Moreres (ein ehemaliger Friedhof und heute eine katalanische Gedenkstätte) genügend Raum zur eingehenden Betrachtung dieses außergewöhnlichen Kirchengebäudes. Gekrönt von einer großen Fensterrosette über dem gotischen Hauptportal und flankiert von zwei hohen schlanken Türmen ist die Meereskathedrale ein Beispiel bestechender Reinheit und Schlichtheit im Stil katalanischer Gotik, der in seiner nüchternen Strenge und Kompaktheit eigentlich unüblich ist für mittelalterliche Kirchengebäude.
Die Fassade der Santa María del Mar ist durch hohe Stützen in drei Abschnitte entsprechend den Kirchenschiffen gegliedert. Die schmalen achteckigen Türme sind 33 m hoch und streben gerade in die Höhe. Eine Art Kreuzgang ist durch kleine Kapellen um die Kirche herum gebildet, während die Apsis von einem feingliedrigen Pfeilerkranz umgeben ist. Skulpturen von St. Peter und St. Paul besetzen die Nischen zu beiden Seiten des West-Portals. Das Tympanon des Hauptportals zeigt Jesus, Maria und Johannes. Der achteckige Nordwestturm wurde 1496 fertiggestellt, sein Gegenstück blieb bis 1902 unvollendet.
Nach Durchschreiten des Hauptportals der Basilika ist man überwältigt von der Höhe der drei Kirchenschiffe, die durch den einzigen Raum ohne Querschiffe eine Weite, Erhabenheit und Schlichtheit vermitteln, die in einer normalerweise reich verzierten gotischen Kirche unerwartet ist. Die enorme Höhe und das schlichte 13 m breite Rippengewölbe des engen Mittelschiffes wird von majestätisch wirkenden vier schlanken achteckigen Pfeilersäulen getragen. Die Buntglasfenster überfluten den Innenraum mit gedämpftem farbigem Licht.
Das Konzert, das ich vor Jahren in dieser einzigartigen Kirche besuchte, bleibt nicht nur akustisch ein unvergessliches Erlebnis. Wer die durch Papst Pius XI 1923 zur Basilica minor erhobenen Meereskathedrale noch nicht kennt, sollte den Besuch auf jeden Fall auf sein Sehenswürdigkeitsprogramm setzen! Wer die 130 Stufen bis zum Dach der Basilika erklimmt, wird mit einem Rundumblick über Barcelona reich belohnt.
Von Dr. phil. Evelyn Patz Sievers, Juli 2024
Infos:
Eintrittspreise : Rundgang in der Basilika mit dem Museum und der Krypta, 5 Euro .
Incl. Türme und Terrassen 10 Euro.
https://www.getyourguide.es/barcelona-l45/barcelona-tour-literario-a-pie-de-la-catedral-del-mar–t2539/?ranking_uuid=70a04d0f-f818-42d5-8e88-2dd424b3d2fd
Schlagwörter: Barcelona, Museen und Sehenswürdigkeiten, Sehenswert, Traditionen