Emblematischer Ort der katalanischen Literatur

Die Romanfigar La Colometa von Xavier Medina-Campeny, Foto: Patz Sievers
Dossier Nr. 172: Lieblingsplätze
Emblematischer Ort der katalanischen Literatur: Plaça del Diamant
Seit Menschengedenken sind Plätze weltweit Orte der Zusammenkünfte von Menschen. Sie bieten Raum für Wochenmärkte, Nachbarschaftstreffen, Festlichkeiten, dienen als Versammlungsstätten für Kundgebungen und Demonstrationen und sind Schauplätze bedeutender gesellschaftlicher Ereignisse
Manch ein Platz erhält literarisch eine herausragende zweite Dimension und wird zur Schaubühne des kollektiven Lebens. Individuelle Geschichten, die sich an solchen Plätzen abspielen, prägen sich fest in das Gedächtnis der Leserschaft ein. Dies spiegelt Alfred Döblins Nachkriegsroman „Berlin Alexanderplatz“ besonders deutlich wider, wo der aus dem Gefängnis entlassene Franz Biberkopf zeitweilig Zeitungen verkauft, ein besserer Mensch werden will, viele Rückschläge erleidet und letztendlich scheitert.
Einige Jahrzehnte später macht Mercè Rodoreda (1908-1983) mit ihrem Roman „La Plaça del Diamant“ den im Stadtteil Gràcia von Barcelona gelegenen Platz unsterblich. Sie schrieb den Roman 1960 in Genf, ihrem Schweizer Exil. 1978 wurde er von Hans Weiss ins Deutsche und im Laufe der Zeit in über 20 Sprachen übersetzt. La Plaça del Diamant wird hier zur magischen Projektionsfläche für Alltagsleben, Feste und den historischen Wandel von der 2. Republik (1931-1939), über den Spanischen Bürgerkrieg bis zur Nachkriegszeit. Gleichzeitig bahnen sich politische und persönliche Umbrüche an. Aus der Perspektive des inneren Monologs werden die Lesenden Zeugen der tiefsten Gefühle, Gedanken, Ängste und Sehnsüchte der Protagonistin Natalia.
Der Roman beginnt mit rauschhaften Tänzen auf der Plaça del Diamant während des Volksfestes Festa Major. Die junge Natalia arbeitet in einer Konditorei und schmückt sich für das Fest. Von Quimet, einem unbekannten Mann, der auf einmal (mit „Affenaugen“) vor ihr auftaucht, wird sie zum Tanzen aufgefordert. Er meint, dass Natalia, die er sofort Colometa nennt, binnen eines Jahres seine Frau werden würde. Sie weist ihn zunächst brüsk ab. Doch Quimets hartnäckigem Werben gibt die fügsame Natalia schließlich nach, löst ihre Verlobung mit Pere und heiratet Quimet. Nacheinander bekommt sie zwei Kinder – Antoni und Rita – und fügt sich den oftmals haltlosen Bevormundungen ihres Ehemannes. Dessen Taubenzucht und ihre harte Arbeit – stundenweise als Putzfrau bei einer reichen Familie – bestimmen ihr Leben. Die unzähligen Tauben, die sogar die Wohnung in Beschlag nehmen, verfolgen sie bis in ihre nächtlichen Albträume. Quimet wird Soldat und am Kriegsende für gefallen erklärt. Colometa und ihre Kinder erleiden massive Hungersnöte. Doch Rettung naht: der kriegsversehrte Ladenbesitzer Antoni aus der Nachbarschaft bietet ihr eine Mitarbeiterstelle an und später noch die Heirat. Colometa bekommt nun die lang versagte Anerkennung durch den Mann, der sie und ihre Kinder liebt und fördert. Ihre Tochter Rita heiratet ebenso jung wie sie den inständigen Bewerber Vicenç. Letztlich wandert Natalia-Colometa über die Placa del Diamant, durch das Viertel Gràcia, begräbt schließlich ihre Jugendzeit und findet endlich ihren ersehnten Seelenfrieden.
Als Nachruf zum Tod von Mercè Rodoreda schreibt der Literaturnobelpreisträger Gabriel García Márquez in seinem Artikel in der spanischen Zeitung „El País“, der ins Deutsche übersetzt im Nachwort der deutschen Romanfassung abgedruckt ist: „Offenbar wissen nur wenige Leute außerhalb Kataloniens, wer diese unsichtbare Frau war, die in herrlichem Katalanisch einige schöne und harte Romane schrieb, von denen es in der gegenwärtigen Literatur nicht viele gibt. Einer von ihnen – Auf der Plaça del Diamant – ist meiner Meinung nach der schönste, der nach dem Bürgerkrieg in Spanien veröffentlicht wurde “
La Plaça del Diamant erhielt den Namen um 1850 durch Josep Rossell i Imbert, Stadtrat, vermögender Juwelier und Eigentümer der in Gràcia gelegenen Grundstücke. Gràcia galt auch als „Stadtviertel des Juweliers (barri del joier).
Der quadratische Platz wird von vier Straßen durchkreuzt, wobei die C/ Asturias die Geschäftsmeile ist. Unter einem der Straßenschilder befindet sich eine Erinnerungstafel an Mercè Rodoreda und ihren Roman.
In der Mitte des Platzes stellt die von Xavier Medina Campeny 1984 geschaffene 2,3m hohe Bronzeskulptur die Romanfigur Colometa dar, die mit erhobenen Armen und schmerzvollem Gesichtsausdruck eine spitz zulaufende dreieckige Wand durchbricht. Zu beiden Seiten sind die Tauben zu sehen, die Colometa das Leben schwer machten: eine aufrüttelnde Szene, die seit 1990 den Platz dominiert.
Ein paar Schritte entfernt bilden zwei rostfarbene tunnelartige verglaste Metallkästen die Eingänge zum Luftschutzkeller, in dem etwa 200 Menschen Zuflucht vor der italienischen Bombardierung Barcelonas während des Spanischen Bürgerkrieges fanden. Sonntags sind Besichtigungen möglich.
Es lohnt sich, diesen symbolträchtigen Platz zu besuchen, die Skulptur zu betrachten und im Café die besondere Atmosphäre des Ortes einzuatmen.
Von Evelyn Patz Sievers, Oktober 2025
Schlagwörter: Barcelona, Literatur
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