Die Kunst, der eigenen Wahrheit zu vertrauen

Die Künstlerin Ninon Réo hat in Barcelona eine neue künstlerische Heimat ge-funden, Foto: Nino Réo
Jeder, der durch Barcelonas Straßen läuft, hat mit Sicherheit schon einmal eines ihrer Kunstwerke gesehen. Julie Ninon Réau ist eine französische Künstlerin, die seit drei Jahren in Barcelona lebt. Vor allem durch ihre Paste-ups* ist sie in Barcelona unter ihrem Zweitnamen Ninon Réo als Straßenkünstlerin bekannt.
Doch bevor sie sich voll und ganz ihrer Kunst widmete, hatte sie lange Zeit in Madrid gelebt und ein eher konservatives Leben als Finanzberaterin geführt. „Ich habe täglich Daten analysiert, die Banktransaktionen eines Jahres untersucht und Einkommensverluste identifiziert.“
In ihrem damaligen Alltag blieb kaum Zeit für Kunst und das, obwohl sie von klein auf zeichnete und malte. Doch wie das Leben so spielt, wenn man auf seinen wahren Weg kommen soll, so bekam sie damals einen kleinen Stups von außen: Die befreundete Künstlerin Iampiô kam nach Madrid. „Sie ist superkreativ und hat mir geholfen, meine Leidenschaft wieder zu entdecken. Ich begann, wieder mehr zu zeichnen. Selbst als sie nicht mehr da war, zeichnete ich weiter und kaufte mir ein Tablet für digitales Zeichnen“.
Die gemeinsame Zeit der beiden hinterließ Spuren und so malte sie wieder regelmäßig. Durch eine Freundin bekam sie damals eine Ausstellungsmöglichkeit in Madrid. Diese Ausstellung wurde zu einem Wendepunkt in ihrem Leben. Von da an gab es kein Zurück mehr. Sie spürte tief in sich, dass das genau das war, was sie wirklich machen wollte. „Der Übergang war nicht einfach, weil ich ein gesichertes Leben in Madrid hatte, eine schöne Wohnung, Freunde. Aber ich fühlte mich innerlich blockiert. Schließlich entschied ich, nicht nur meinen Beruf zu wechseln, sondern auch die Stadt. Da bot sich Barcelona an, wo ich Freunde hatte. Iampiô erzählte mir von einem freien Atelierplatz und schlug vor, nach Barcelona zu ziehen. Ich reservierte den Platz, kündigte meinen Job – das war mein Commitment für diesen Lebenswandel. Sie wagte den Sprung und ging nach Barcelona.
Als Ninon Réo nach Barcelona kam, fing sie mit Straßenkunst an und diese wurde fortan ihre große Leidenschaft. Für sie ist Straßenkunst eine Galerie für alle Menschen. Ihren unverwechselbaren Stil entwickelte sie ganz ohne Kunststudium in ihrer Zeit in Madrid, in einer schwierigeren Phase in ihrem Leben. Die Kunst half ihr frei auszudrücken, was sie innerlich wirklich fühlte, und so wurde sie zu ihrer eigenen Sprache: „Ich hinterfragte meine damalige Beziehung. Ich wusste damals nicht genau, was mich störte, aber später erkannte ich, dass es um patriarchale Strukturen ging, die ich nicht offen ansprechen konnte. Stattdessen verarbeitete ich diese Themen in meinen Zeichnungen – auf eine versteckte, aber freie Weise.“ Ihr Stil ist unverwechselbar und liegt zwischen Illustration und Abstraktion.
Für sie ist ihre Kunst eine Möglichkeit, das Menschliche darzustellen, ohne den Körper zu zeichnen. Sie verzichtet bewusst auf geschlechtsspezifische oder physische Merkmale. Stattdessen konzentriert sie sich auf Emotionen, Empfindungen und Verbindungen zwischen Menschen. „Ich habe eine Art Symbol-Alphabet entwickelt, um verschiedene Gefühle auszudrücken.“ Ihre Blumen mit Augen symbolisieren beispielsweise unterschiedliche Stimmungen je nach Blickrichtung – nach vorn für Entschlossenheit, nach links für Selbstreflexion, nach rechts für Zweifel. Lianen und Wurzeln sind wiederkehrende Motive, die für Herkunft und zwischenmenschliche Verbindungen stehen.

Inspire Inclusion 4:
Paste-up Ninon Réo
Foto: Nino Réo
Vor ein paar Monaten wurde eine Galerie durch den unverwechselbaren Stil ihrer Paste-ups auf sie aufmerksam: Die Baubo Galerie in El Masnou. Am 8. März zum Weltfrauentag wurde die Ausstellung „Inspire Inclusion“ eröffnet, in der sie gemeinsam mit der Künstlerin HazardOne ausstellt. Die Ausstellung ist noch bis zum 19. April zu sehen und sehr zu empfehlen. Ninon Réo ist eine Künstlerin, die ihrer inneren Stimme folgte und sich selbst die Freiheit schenkt, ganz sie selbst zu sein.
Von Yasmina Abd Elrahman, April 2025
*Paste-up: Ein Paste-up ist ein Begriff aus der Streetart-Kultur. Darunter versteht man im Allgemeinen ein mit Kleister oder Leim aufgezogenes Plakat.
Kontakt:
www.ninonreo.com
Instagram: ninon_reo
Schlagwörter: Barcelona, Biografisches, Frauen, Kultur, Sehenswert