Juhu, Barcelona!
Sensationell! Die Großeltern hatten meinen Vetter und mich 1958 zu einem Urlaub nach Spanien eingeladen. Das erste Mal in einem Flugzeug!
Unglaublich, dass man einfach so durch die Luft fliegen konnte! Die freundliche Stewardess hatte mir einen kleinen Karton in den Schoß gelegt, in dem sich ein Ei, ein Sandwich, ein Apfel und Schokolade befand. Ich mag weder hartgekochtes Ei noch Sandwich, mümmelte aber brav alles auf, weil ich es so toll fand, dass man so beim Rumfliegen sogar was zu essen bekam. Wir landeten in Palma und stiegen in eine kleine Propellermaschine um. Der Flug war so unbeschreiblich laut, dass man sein eigenes Wort nicht hörte. Man bekam allerdings Wattebäuschchen für die Ohren, aber das half wenig.
Und dann waren wir endlich in Barcelona. Am Flughafen holte uns ein Fahrer ab und los ging die wilde Fahrt. Sowas hatte ich noch nie erlebt: andere Autos wurden rechts und links überholt, statt Hupe ließ unser Fahrer den Arm aus dem Fenster hängen und klopfte donnernd gegen die Autotür, zum Abbiegen hob er einen Arm nach oben oder zur Seite, aber dennoch landeten wir heil in unserem Hotel Colon, gegenüber der wunderschönen Kathedrale von Barcelona aus dem 14. Jahrhundert. Und natürlich besuchten wir diese zuerst. Beim Eintreten hörten wir schon ungewöhnliche Musik. In der Mitte des Gebäudes saßen in dem wunderschön geschnitzten Chorgestühl eine Reihe von Mönchen und sangen. „La alabanza divina“ flüsterte uns jemand zu, der sich mit uns auf eine Bank gesetzt hatte und ergriffen lauschte. Wir machten noch einen Rundgang an den vielen kleinen Seitenkapellen vorbei, bewunderten den Kreuzgang und landeten dann bei einem Eis auf unserer Hotelterrasse. Aber was für ein Eis! Turroneis! Etwas so Leckeres hatte ich noch nie gegessen!
Am nächsten Morgen hörten wir so eine eigenartige gequetschte Musik, nach der ein großer Kreis Menschen sich an den Händen gefasst hatte und ernst und konzentriert mit kurzen und langen Sprüngen nach rechts und links hüpfte. Es hieß, das sei der katalanische Tanz Sardanas. Ich fands lustig. Auf die Einladung eines Geschäftsfreundes meines Großvaters fuhren wir weiter nach Palamos auf eine wunderschöne, sehr elegante Finca. Um die Jugend zu beschäftigen, hatte man extra einen Lehrer kommen lassen, der uns ausgerechnet den Sardanatanz beibringen sollte. Wir erfuhren viel über die Kapelle, die Cobla und die Holz- und Blechblasinstrumente, über Flabiol, Tamboril und Tenoras. Die Musik bekam plötzlich eine ganz eigene Faszination und die Hüpfschritte waren viel schwieriger als gedacht. Am Abend durften wir in die Stadt, um die berühmte Flamencotänzerin „la Chunga“ zu bewundern. Sie war 17 oder 18 Jahre alt und tanzte zum Teil barfuß. Diese Musik! Der faszinierende Klang der Kastagnetten! Die unnachahmlichen Bewegungen ihrer Hände! Ihre weiten Röcke wirbelten um sie herum und trugen den herbsüßen Duft von Majaseife zu uns herüber. Ich liebe diese Seife heute noch. Später lagerten wir im Garten der Finca, um einen ganz großartigen Sternenschauer zu erleben. Jede Menge Sternschnuppen, das hatte ich noch nie gesehen.
Strand, Meer, Bräune, das durfte natürlich nicht fehlen. Zurück nach Barcelona und weiter nach Torredembarra, einem kleinen Fischerdorf in der Provinz Tarragona. Es gab nur ein kleines Hotel am Strand, in dem wir praktisch die einzigen Gäste waren. Meine Großmutter saß bereits ab 7 Uhr abends vor dem Speisesaal und konnte es schier nicht fassen, dass man nicht bereit war, ihr vor halb neun ein Abendessen zu servieren. Traditionelle Zeiten hielt man, komme wer oder was da wolle, streng ein. Einen Mittag machte ich einen Spaziergang durch das Dörfchen. Ein schattiger Marktplatz, in der Mitte ein hübscher Brunnen, mehr war es damals nicht. Als ich einige Frauen in schwarzen langen Kleidern und schwarzen Kopftüchern im Schatten vor den Türen ihrer Häuser sitzen sah, war mir mein ausgeschnittenes Sommerkleidchen fast peinlich und irgendwie kam ich mir geradezu nackt vor. Also nichts wie schnell wieder ins Hotel zurück.
Das Meer, der Sandstrand, das spanische Essen, die fremde Sprache und zum Abschied noch in Barcelona die grandiosen Farbspiele des Springbrunnens am Plaza España, wenn man das alles zum ersten Mal erlebt, bleibt es unvergessen. Ein letzter Blick aus dem Hotelfenster, bei dem eine ziemlich große Menschenmenge meine Aufmerksamkeit erregte. War da ein Unfall passiert? Aber in dem Moment kam ein Bus angefahren, hielt vor der Menge und die Leute stiegen in einer Reihe aufgestellt, einer nach dem andern ein. Der vollbesetzte Bus fuhr davon und der Rest der Leute blieb einer hinter dem andern brav stehen, wohl auf den nächsten Bus wartend. Bisher kannte ich nur das ewige Gedrängel beim Buseinsteigen. Eine solche Disziplin und Ordnung hatte ich noch nirgends erlebt.
Wieder in Deutschland beneidete man mich nicht nur um meine Bräune, sondern auch darum, dass ich meine Ferien im Ausland, in Spanien verbracht hatte. 1958 hätte ich im Traum nicht gedacht, dass es einmal meine Heimat werden würde.
Von Dixi Greiner, Oktober 2024
Schlagwörter: Barcelona, Familie, Geschichte, Museen und Sehenswürdigkeiten, Sehenswert