Silent Disco Barcelona
Ein Kind der Pandemie
Sonntags um 12:00 Uhr am Strand Mar Bella in Poble Nou. Eine große Gruppe von Menschen fängt an, sich rhythmisch zu wiegen, in tanzende Bewegung zu verfallen, viele mit geschlossenen Augen. Es sieht aus wie der Tanz in einer Disco, aber man hört keine Musik. Denn hier handelt es sich um eine Silent Disco des Tribu Silent aus Barcelona.
Was als eine Idee unter Freunden im November 2020, noch in Zeiten der Pandemie entstand, ist jetzt pubertär geworden und hat sich von seinem Ursprung entkoppelt, meint Carlos Soro, der als Organisator seit dem ersten Event dabei ist. Vom Ursprungsteam sind noch Xavi Panella und Eliza Casalla dabei. Letztere ist zwar an den Rollstuhl gebunden, aber das hindert sie nicht daran mitzutanzen.
Die Idee kam ganz spontan unter Freunden. Wie können wir in Zeiten der Pandemie, in der alle Diskotheken geschlossen haben, gemeinsam tanzen? Im Freien! Und wie übertragen wir die Musik ohne aufwendige Technik? Über das eigene Smartphone. So umrundete man geschickt die Corona-Auflagen, deklarierte es als individuellen Sport, trug, wenn es sein musste, auch mal Masken und organisierte alles über soziale Netzwerke wie Telegram.
Das Konzept der Silent Disco gibt es zwar schon seit Anfang 2000, wo es von den niederländischen DJs Nico Ockeres und Michael Minton kommerzialisiert wurde. Hierbei handelt es sich allerdings um ein technisch aufwendiges Konzept mit speziellen Kopfhörern, die über Bluetooth an ein zentrales DJ-System angeschlossen sind und die Musik direkt von dort empfangen.
Hier in Barcelona setzte man auf eine wesentlich einfachere Methode, die ohne hohen Technikaufwand zu realisieren ist. Jeder, der zum Tanzen kommen möchte, lädt sich vorher in der Telegram-Gruppe den aktuellen Mix des DJs der Woche herunter und alle klicken am Sonntag, um 12 Uhr, auf die Play-Taste. So hören alle Tänzer die gleiche Musik synchron zur gleichen Zeit. Und das nicht nur in Barcelona. Der Tribu Silent hat sich schon auf über 30 Standorte in Spanien verbreitet, viele in Katalonien, aber auch die Balearen, Alicante, Granada, Teneriffa, um nur einige zu nennen. Es gibt sogar einen Ableger in Bogota in Kolumbien.
Und das Besondere ist, alle tanzen zum selben Zeitpunkt zu der gleichen Musik.
Ich habe Carlos gefragt, warum diese Bewegung aus der Pandemie herausgewachsen ist, sogar weiterwächst und nicht mit dem Ende der Pandemie gestorben ist. „Das hat mehrere Gründe: Zum einen ist das Gefühl der Gemeinschaft, des Tribus, auch nach der Pandemie ein großes Bedürfnis. Die Pandemie hat die zwischenmenschlichen Beziehungen stark beeinträchtigt und die Menschen sehnen sich nach Gemeinschaft. Diese Bewegung stärkt die Gemeinschaft und die Verbindungen. Und so sind auch schon viele andere Aktivitäten aus dieser Bewegung entstanden. Die Silent Disco war wie ein Samen, aus dem jetzt auch andere Sachen wachsen können.“
So wie zum Beispiel in Vilanova i la Geltrú, wo aus der Silent Disco Gruppe heraus spontan ein Mini-Festival entstanden ist, da wir beim Picknick, nach dem Tanz, feststellten, dass sich viele von uns mit Bewegungstechniken oder anderen bewusstseinserweiternden Techniken beschäftigen. So fand dann mit über vierzig Teilnehmern am 3. September in einem kleinen Wald, nahe dem Strand von Vilanova, unser erstes Festival „Al ritmo del Corazon“ statt. Mit Workshops zu Qigong, Transformation, Yoga, Tantra, Tanz und gemeinschaftlichem Singen.
Die ganze Silent-Bewegung läuft auf altruistischer Basis und auch die DJs, die oft aus dem Ecstatic Dance kommen, stellen ihre Mixe kostenlos zur Verfügung. Die Teilnehmer organisieren sich in Telegram-Gruppen, eine für jeden Ort. Allein in der Gruppe von Barcelona gibt es über 1.800 Teilnehmer und über 200 in Vilanova.
Also, wer mal wieder Lust hat, ausgiebig zu tanzen, dazu noch im Freien an schönen Orten, und vielleicht noch ein paar nette Leute kennenzulernen, der suche in Telegram die Gruppe „Tribu Silent“. Dort sind als gepinnte Nachricht alle Treffpunkte in und um Barcelona aufgeführt. Und noch etwas: es gibt keine Altersbeschränkung ;-). Also keine Ausreden, bitte. Tanzen hält gesund.
Von Sascha Siebenmorgen, Oktober 2023
Infos
Https://t.me/TribuSilent
Schlagwörter: Moderne Welt, Musik