„The hate u give“
Gesellschaftskritik unterm Weihnachtsbaum
Wen hat in diesem Jahr nicht der Tod von George Floyd bewegt und wie die US-Regierung darauf reagierte. Kann es sein, dass Rassismus und Polizeigewalt in unserer westlich zivilisierten Welt derart geduldet werden? Wer Sympathien mit der black lives matter-Bewegung empfindet und diese Grundhaltung gerne weitervermitteln möchte, der könnte in diesem Jahr den Roman „The hate u give“ von Angie Thomas verschenken.
Er beschreibt das Leben der 16-jährigen Starr in zwei getrennten Welten, einer schwarzen in ihrem Wohnviertel und einer weißen an der Privatschule, die sie besucht. Daher gehören rivalisierende Gangs und Straßenschießereien genauso zu ihrem Alltag, wie snobistische Mitschüler, die einen nach Äußerlichkeiten beurteilen. Für Starr ist es ein Drahtseilakt, bei dem sie immer darauf achtet, dass sich ihre Welten nicht vermischen. Das gelingt ihr, bis sie mit ansehen muss, wie ihr Kindheitsfreund Khalil bei einer routinemäßigen Fahrzeugkontrolle vor ihren Augen von einem Polizisten erschossen wird. Starr ist die einzige Zeugin und muss entscheiden, ob sie ihre Stimme für ihren toten Freund erhebt.
Der Roman verbindet das Genre Post Blackness mit dem des traditionellen Coming of Age. Die Hauptfigur ist authentisch und sympathisch, das liegt auch daran, dass sich Parallelen zum Leben der jungen schwarzen Autorin finden. Angie Thomas gelingt es ergreifend aufzuzeigen, dass die Angst vor der Polizeigewalt eine ganz andere Dimension annimmt, wenn man nicht weiß ist. Sie zeichnet liebevolle Familien, deren Perspektivlosigkeit Wut, Hass und Verzweiflung heraufbeschwören. Dabei spielt sie mit dem Schubladendenken in den Köpfen der Menschen.
Das Buch ist jugendgerecht und erfrischend geschrieben, und kann bisweilen sehr zu Herzen gehen (Taschentuchalarm). Es wurde unter anderem mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet, ist aber gleichermaßen für Erwachsene zu empfehlen.
Der gleichnamige Film wurde sogar für den Unterricht empfohlen, weil er auf Augenhöhe mit dem Zielpublikum erklärt, was Rassismus bedeutet, und das nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern mit packenden Bildern, die der Romanvorlage gerecht werden.
Von Kati Nierman, November 2020
Schlagwörter: Literatur, Moderne Welt