Der bewundernswerte Aufstieg der „Cholitas Escaladoras“ aus Bolivien
Ich habe vor Monaten mein Herz an eine Gruppe bergsteigende bolivianische Frauen verloren. In einer Zeitschrift sah ich ein Foto von vier Frauen mit orangefarbenen Umhängen und bunten Röcken. Diese Tracht hatte ich auch auf Reisen in Bolivien gesehen.
Ich fand diesen Anblick dermaßen ungewöhnlich, dass ich mich auf die Suche nach mehr Informationen machte. Wie ich erfuhr, gehören die Frauen zu der Gruppe „Cholitas Escaladoras de Bolivia“. Escaladoras heißt Bergsteigerinnen. Cholitas weist auf ihre Zugehörigkeit zu einer indigenen Gruppe hin, die ihrer Kultur weiterhin verbunden ist. Daher tragen sie selbst beim Bergsteigen ihre Tracht: den Umhang, den Pollera (ein weiter Rock) und das bunte Tragetuch. Lediglich der Sombrero wird durch einen Helm ersetzt. Ein weiteres wichtiges Element sind die Opfergaben für Pacha Mama (Mutter Natur).
Sie sind die ersten Frauen indigener Herkunft, die Berggipfel erklimmen, die höchsten in Lateinamerika haben sie bereits bewältigt. Die spektakulärste Bergtour war die Besteigung des Cerro Aconcagua in Argentinien, mit 6.961 m der höchste Berg außerhalb Asiens. Am 23. Januar 2019 erreichten sie den Gipfel. Zu der Gruppe gehörten Dora Magueño Machaca, Ana Lía Gonzáles Magueño, Cecilia Llusco Alaña, Lidia Huayllas Estrada und Elena Quispe Tincuta.
Die bei diesem Aufstieg gedrehte Dokumentation „Cholitas“ hat bereits viele internationale Preise gewonnen. Einen davon auf dem BBK Mendi Filmfestival in Bilbao. Weitere wurden auf Festivals in Slowenien, Italien, der Schweiz und Argentinien verliehen. Realisiert hat den Film der Spanier Jaime Murciego, der nach seinen Worten eine Geschichte erzählt, in der die Menschen andere Dinge tun, als von ihnen erwartet werden. Eine Aussage, die auf die Cholitas in jedem Fall zutrifft.
Doch zurück zum Beginn. Wie kamen die Frauen im Alter von 24 bis 50 Jahren dazu, gemeinsam Berge zu besteigen? Sie alle leben in der Nähe von La Paz und haben schon seit Jahrzehnten Berge bestiegen, doch immer nur bis zu dem Basislager. Als Köchinnen und Trägerinnen, mussten sie dort bleiben, um alles für die Rückkehr der Touristen vorzubereiten.
Dora Magueño Machaca sagte in einem Interview: „Wir haben immer gesehen, wie die Touristen zu dem Gipfel aufbrachen und dann voll Freude zurückkamen. Ich fragte mich immer, was ist das für eine Freude, die sie empfinden, ich kenne sie nicht. Ich habe den Bergführern gesagt, ich möchte ebenfalls aufsteigen, doch ich hatte keine Möglichkeit dazu.“ Die anderen Frauen haben dies ähnlich erklärt, auch sie wollten selber erleben, wie es ist, den Gipfel zu besteigen.
Die Cholitas sahen sich bei der Umsetzung ihres Wunsches mit Diskriminierungen und Vorurteilen konfrontiert. In der bolivianischen Gesellschaft werden sie doppelt diskriminiert: aufgrund ihrer Herkunft und als Frauen. Sie sind auf die Rolle als Hausfrau und Mutter sowie als Köchin, Trägerin, Verkäuferin etc. festgelegt. Einige von ihnen zweifelten auch daran, ob sie es in ihrem Alter mit über 40 Jahren noch schaffen würden. Doch das Verlangen selbst auf den Gipfel zu steigen war größer als die Widerstände. Am 17.Dezember 2015 brach Lidia Huayllas Estrada gemeinsam mit 10 weiteren Ehefrauen von Bergführern auf. Begleitet wurden sie von Lidias Ehemann und einem weiteren Bergführer. Sie hatten sich für den Huayna Potosí (6088 m) entschieden, den Berg, den viele von ihrer Arbeit kannten.
Dora Magueño Machaca berichtet in einem Interview von ihren anfänglichen Bedenken, sagt dann aber „…doch jetzt macht es Freude zu sehen, wie die Sterne in der Nacht glänzen, die Ruhe der Nacht dort oben, aber vor allem ist es die Freude des Ankommens. Auf dem Gipfel ankommen, das ist das Beste und ein Gefühl, das sich schwer erklären lässt.“
Dies galt wohl auch für die anderen Frauen, denn trotz des schwierigen ersten Auf- und Abstiegs, beschrieben sie das Gefühl als so unbeschreiblich schön, dass sie in diesem Moment beschlossen haben, die höchsten Gipfel des Landes zu besteigen. Sie gründeten die Gruppe „Cholitas Escaladoras de Bolivia“ die inzwischen auf 16 Bergsteigerinnen angewachsen ist. Gemeinsam haben sie viele weitere Berge bestiegen, alle über 6000 m.
Doch es ist nicht einfach für die Cholitas, dem Sport des Bergsteigens nachzugehen. Sie arbeiten alle und haben Familie – eine sogar schon 4 Enkel. Die Reisen und die Ausrüstung sowie die Bezahlung eines Bergführers sind sehr teuer und so sind sie immer auf Spenden und Sponsoren angewiesen. Mitunter sind Teile ihrer Ausrüstung daher sehr abgenutzt.
Es gibt immer wieder Männer, die es nicht gut finden, dass die Cholitas ihre Ideen umsetzen, und die sich darüber lustig machen, dass Frauen Berge besteigen. Besonders starke Anfeindungen gab es, als sie den Vulkan Acotango bestiegen. Nach einem lokalen Glauben ist dies Frauen verboten und die Bevölkerung fand sich am Fuße des Berges ein, um die Gruppe zu kritisieren. Sie erhalten aber auch positive Rückmeldungen: ihre Ehemänner unterstützen sie schon seit längerem und auch unter den Bergsteigern sind sie inzwischen bekannt und anerkannt.
Immer wenn sie Zeit haben, praktizieren sie ihren Sport und erfreuen sich daran, unter Frauen zu sein und sich unabhängig und frei zu fühlen. Sie sehen sich auch als Wegbereiterinnen für junge Frauen und Mädchen, denen sie mit ihrem Handeln unter Beweis stellen, dass Frauen durchaus von dem ihnen von der Gesellschaft vorgegeben Pfad abweichen können. In einem Interview ermutigt Ana Lía Gonzáles andere Frauen: “Denkt nicht, dass es zu gefährlich ist. Das ist es nicht. Wir Frauen können das.“
Zwischenzeitlich haben sich einige der Gruppe auch in anderen Sportarten ausprobiert. Sie spielen in einer Fußballmannschaft oder betreiben Kampfsport.
Bereits zu Beginn des Jahres 2017 haben sie einen der bedeutendsten Berge Boliviens den Illimani in der Nähe von La Paz bestiegen. Es war der bis dahin schwierigstenAufstieg, für den sie 3 Tage brauchten. Nach dieser Erfahrung wurde einigen von ihnen klar, dass das Bergsteigen mehr ist als ein Hobby. Sie beschlossen die notwendigen Schulungen zu absolvieren, um als Bergführerinnen zu arbeiten. Die ersten weiblichen Bergführerinnen in Bolivien. Der Verdienst wäre fünfmal so hoch wie für ihre bisherige Arbeit als Trägerinnen und Köchinnen. Die Cholitas wollen noch höher hinaus, das nächste spektakuläre Projekt soll die Besteigung des Mount Everest sein.
Für mich sind die „Cholitas Escaladoras“ ein Beispiel dafür, dass es möglich ist, die gesellschaftlich vorbestimmten Pfade zu verlassen und seine eigenen Interessen und Leidenschaften zu verfolgen.
Von Elisa Heinrich, November 2020
Infos
https://miradasdoc.com/mdoc2020/jaime-murciego-cholitas/
https://elpais.com/elpais/2019/03/22/planeta_futuro/1553277982_341963.html
https://eldeber.com.bo/bolivia/mujeres-aimaras-jugaran-futbol-en-la-cima-del-sajama_105119
Schlagwörter: Unterwegs