Unsere Lesetipps für die Sommerzeit: Orhan Pamuk
Geschichten mit Wörtern und Dingen erzählen
Es begann mit einer tragischen Liebesgeschichte, aus den 1970er Jahren in Istanbul. Kemal, ein junger Mann aus einer wohlhabenden Familie steht kurz vor der Verlobung mit der seinen Kreisen zugehörigen Sibel. Die Geschichte könnte eines schnelles Happy End haben, wäre nicht kurz vor der Verlobung die 18-jährige arme Verwandte Füsun in Kemals Leben getreten.
Die geheimen Treffen der beiden, werden durch die Verlobung von Kemal und Sibel beendet. Kemal wird depressiv und trennt sich von Sibel. Er zieht sich in die Wohnung, in der er sich mit Füsun getroffen hat, zurück. Jahre später erhält Kemal wieder eine Nachricht von Füsun. Füsun ist mittlerweile mit einem Filmemacher verheiratet, der für seinen neuen Film Geld benötigt. Mit Kemal ist sie sehr förmlich. Dieser hat Angst, sie wieder zu verlieren, und fängt an, alle möglichen Gegenstände zu sammeln, die mit Füsun in Verbindung gebracht werden können. Als Füsuns Mann sie wegen einer anderen Frau verlässt, können sie und Kemal endlich zusammenleben. Sie beschließen nach Paris zu ziehen. In Edirne kommt es zu einem schweren Autounfall, bei dem Füsun stirbt und Kemal schwer verletzt wird. Kemal kehrt nach seiner Genesung nach Istanbul zurück, um ein Museum mit den gesammelten Erinnerungsstücken an Füsun zu eröffnen.
Orhan Pamuk hat diese Geschichte in seinem Roman „Das Museum der Unschuld“ verewigt. Er hatte von Anfang an geplant das im Buch beschriebene Museum mit dem gleichen Namen in Istanbul zu realisieren.
Orhan Pamuk richtet das Museum mit 1.000 Gegenständen ein, die an Füsun erinnern. Das Museum richtet sich nach den 83 Kapiteln des Buches, zu denen je eine dreidimensionale Collage ausgestellt wird. Im ersten und zweiten Stock des Gebäudes kann man analog zum Buch durch die Geschichte von Kemal und Füsun wandern. In poetischen Bildern und Alltagsgegenständen taucht man auch in die Geschichte Istanbuls von den 1950er Jahren bis ca. 2000 ein. In der Dachkammer des Museums ist Kemals fiktives Zimmer nachgestellt, in dem er seine letzten Lebensjahre ver-bracht hat.
Das klingt alles sehr verwirrend und dies ist auch so beabsichtigt. Es ist eine geniale Idee von Orhan Pamuk, Fiktion mit realen Gegenständen zu verbinden. Orhan Pamuk (geboren am 7. Juni 1952 in Istanbul) hat Architektur und Journalismus studiert. Sein Roman „Das Museum der Unschuld“ ist 2008 in der Türkei und schon ein Jahr später auf Deutsch erschienen. 2006 hatte Orhan Pamuk den Nobelpreis für Literatur erhalten, den er als erster Schriftsteller der Türkei bekam. Orhan Pamuk aber ‚nur’ auf seine herausragenden literarischen Erfolge zu reduzieren, würde seinem Werk nicht gerecht werden. Er besitzt eine enorme Kreativität. Er ist auch ein bedeutender Fotograf, Zeichner und Kurator. Seine von ihm gegründeten Museen haben zahlreiche Auszeichnungen erhalten. Zudem hat er eine gewichtige politische Stimme, nicht nur in seiner Heimat.
2012 wurde das Museum in Istanbul eröffnet, das Pamuk in seinem Roman beschreibt. Es ist sicher ein Vorteil, wenn man vor dem Museumsbesuch das Buch gelesen hat, denn dann werden die Gegenstände mit Leben gefüllt; sei es eine Teekanne, oder alte Kinokarten. Man kann aber auch rein die poetische Schönheit und die kunstvolle Anordnung der Objekte genießen. Mit seinem Museum möchte Pamuk den Besuchern die Kraft und die trost-spendende Macht der Objekte näher bringen: „Ein ganz besonde-rer Wert von Museen liegt darin, zu zeigen, in welchem Zusam-menhang sich die Objekte zueinander befinden, wie sie sich auf den Menschen und dessen Gedanken und Sorgen beziehen. Das nenne ich die Kraft der Dinge – eine tröstende Kraft gegen die vergehende Zeit.“
Orhan Pamuk hat drei Sonderausstellungen in diesem Jahr vorbereitet. 40 Schaukästen seines ‚Museums der Unschuld’ aus Istanbul hat er nachgebaut. Sie wurden zuerst in den „Staatlichen Kunstsammlungen“ in Dresden gezeigt, bis zum 13.Oktober sind sie im Münchner Lenbachhaus zu sehen und werden abschlie-ßend in Prag ausgestellt. Ergänzt werden diese Ausstellungen mit wenigen Schaukästen, die sich direkt auf die jeweiligen Museen beziehen.
„Der Trost der Dinge“ so hat Pamuk diese Sonderausstellungen genannt, ein großer Anspruch, aber die Poesie der Worte und der Objekte hallt lange nach und lässt den Leser und Besucher nicht unberührt.
Von Gabriele Jahreiß, Juli 2024
Info
https://www.fischerverlage.de/buch/orhan-pamuk-das-museum-der-unschuld-9783596177684
Europäisches Museum des Jahres 2014
https://www.masumiyetmuzesi.org/?Language=ENG
Schlagwörter: Ausflüge, Kultur, Museen und Sehenswürdigkeiten, Sehenswert