Verrückt, aber nicht dumm
Als die Redaktion als Dossier dieser Ausgabe „In Bewegung“ beschloss, weiß ich nicht mehr genau, warum mir ausgerechnet Don Quichotte als Erstes in den Sinn kam, um das Editorial zu schreiben. Dieser literarische Held war bei seinen Abenteuern in La Mancha immer in Bewegung, und die Bewegung, die uns sicher allen am besten in Erinnerung geblieben ist, ist wohl sein tumber Angriff auf die Windmühlen. Aber in diesem scheinbar so unbedarften Kampf liegt vielmehr. Er wollte die Welt verändern, gegen Missstände auftreten. Ein Ritter steht immer auch für einen gewissen Wertekanon. Wir haben von ihm heute hauptsächlich diese sehr bildliche Szene des Kampfes gegen die Windmühlen im Kopf, auch wenn sie im Roman nur wenige Zeilen einnimmt. Er kommt verletzt, aber nicht geschlagen aus dem Zweikampf. Ich will heute gar nicht darauf eingehen, ob Don Quichotte verrückt oder weise, dumm oder intelligent, vernünftig oder emotional war. Alle seine Abenteuer machen aus ihm eine so dynamische Person, dass auch noch mehr als 400 Jahre nach der ersten Veröffentlichung keine Einigkeit darüber besteht, wie das Werk zu werten ist. Einig sind sich Kritiker*innen immerhin, dass Cervantes den ersten modernen Roman verfasst hat. Was uns an der Persönlichkeit des Ritters von der traurigen Gestalt – wie er auch genannt wird – besonders begeistert, ist, dass er einen Großteil seiner Zeit und seines Vermögens dem Lesen und den Büchern widmete. Er verkaufte sogar Grundstücke, um sich neue Bücher leisten zu können. Inspiriert von den vielen Ritterromanen, die er gelesen hat, macht sich dieser ältere, im Herzen junge gebliebene Edelmann auf, um sich für eine bessere Welt einzusetzen, den Unterdrückten zu helfen, Missstände anzuprangern und aufzudecken. Er sieht die Gesellschaft seiner Zeit mit kritischen Augen und kann nicht umhin, sich zu engagieren, sie nicht so nicht akzeptieren, sondern etwas zu unternehmen. Dass das nicht immer so klappt, wie er sich das vorgestellt hat, können wir gut nachempfinden. Es läuft eben nicht immer so, wie wir hoffen, obwohl wir die besten Vorstellungen haben.
Als die Windmühlen am Horizont sichtbar werden, erschreckt sich Don Quichotte nur kurz, weil er klar einen weiteren, starken Feind in ihnen ausmacht, dem er Einhalt gebieten muss. Die heutigen Windmühlen sind riesige Windräder, die überall auf der Welt anzutreffen sind. Sie bewegen uns, weil sie einerseits für erneuerbare Energien und Unabhängigkeit von traditionellen Energiequellen stehen, andererseits durch Lärm, bauliche Hässlichkeit und Gefahr für Tiere auffallen. Ich stelle mir jedoch vor, dass -wenn Don Quichotte heute leben würde-, er oben auf einem säße und dort ganz vertieft in einem inspirierenden Roman schmökern würde. Bleiben Sie in Bewegung!
Von Ina Laiadhi, Chefredakteurin, Editorial 144
Schlagwörter: Umwelt