Der Polarjetstream im Klimawandel
Sagt mal, habt Ihr etwa Euer Wetter mitgebracht? Diese Frage tauchte des Öfteren auf, als wir Wahlspanier im letzten Sommer in Deutschland Urlaub machten. Die Hitze schlug Wellen. Um dann auch noch bei unserer Rückkehr im August festzustellen, dass weite Teile unseres Heimatortes Castelldefels von einem schweren Unwetter lahmgelegt worden waren. Es scheint, als sei wettertechnisch in den letzten Jahren einiges in Schieflage geraten, wenn der deutsche Regen auf Spanien fällt und die mediterrane Hitze in Deutschland landet.
Schuld daran ist neueren Untersuchungen zufolge ein Erlahmen des Jetstreams. Der Jetstream ist, vereinfacht gesagt, ein schmales Starkwindband, das sich in großer Höhe (Tropo- und Stratosphäre) um die Erde zieht. 50 bis 100 km breit und bis zwei km dick reißt es immer mal wieder ab, verästelt sich und mäandriert, ist aber ansonsten ziemlich verlässlich mit ca. 30 m/s um den gesamten Globus unterwegs. Es gibt mehrere dieser Strahlströme; unser europäisches Wetter wird maßgeblich vom Polarjetstream zwischen dem 40. und 60. Breitengrad beeinflusst. Ende Juni/Anfang Juli stabilisiert sich der Jetstream normalerweise und behält seine Lage für die nächsten 6 bis 8 Wochen bei. Insbesondere für Süddeutschland führte das zur bekannten Bauernregel über den Siebenschläfer, der bestimmt, wie das Wetter im Sommer wird. Pendelt sich der Jetstream nämlich um den Siebenschläfertag (7.7.) weiter nördlich ein, gibt es in Süddeutschland Hochdruck und damit Schönwetterlage. Landet er weiter südlich, gibt es aus Richtung Nordpol kommend Tiefdruck und Regen.
Der Polarjetstream entsteht nämlich vereinfacht gesprochen durch den Temperaturausgleich zwischen Hoch- und Tiefdruckgebieten zwischen Äquator und Nordpol. Die warme aufsteigende Luft bewegt sich in Richtung Nordpol und wird dabei von der Erdrotation in Richtung Osten abgelenkt. Am Äquator hat die Erdrotation einen Durchsatz von etwas weniger als 1700 km/h. Die Luftmassen nehmen also ordentlich Fahrt auf, um mithalten zu können. In Richtung Nordpol nimmt die Erdgeschwindigkeit ab. In Norddeutschland kommen wir zum Beispiel nur noch auf ca. 1000 km/h. Die schnellen Luftmassen auf dem Weg zum Nordpol sind hier also ein starker Westwind. Diese Ablenkung nennt man Corioliskraft. Sie ist auf der Nordhalbkugel rechtsgerichtet, auf der Südhalbkugel nach links. Sein Geschwindigkeitsmaximum erreicht der Polarjetstream im Winter, da hier die Unterschiede zwischen den Äquator- und den Nordpoltemperaturen am größten sind.
Der Jetstream mäandriert wie ein Flusslauf, wenn sich ihm Hindernisse in den Weg stellen, wie zum Beispiel der Himalaya oder die Rocky Mountains. Dann bildet er die so genannten Rossby-Wellen. An deren Wellenbergen bilden sich in tieferen Luftschichten durch Verwirbelung Tiefdruckgebiete und an den Wellentälern Hochdruckgebiete, die mit dem Strahlstrom ostwärts ziehen. Diese bestimmen dann unser Wetter in Europa.
Der Jetstream wird erst seit den 1930er Jahren wissenschaftlich untersucht, wobei die internationale Zusammenarbeit im 2. Weltkrieg gänzlich zum Erliegen kam, denn das Wissen um den Verlauf des Jetstreams und der Rossby-Wellen bildete natürlich einen elementaren Vorteil für die Luftwaffe, insbesondere zwischen Japan und den USA und zwischen den USA und Europa. Noch heute wird der Jetstream bei Interkontinentalflügen in Ostrichtung genutzt und in Westrichtung gemieden, um Zeit und Treibstoff zu sparen.
Zuverlässige Daten über den Jetstream und die Rossby-Wellen liegen eigentlich erst seit den 1980er Jahren vor. Ein relativ kurzer Zeitraum, um einen Klimawandel abzuleiten. Trotzdem gibt es Klimamodelle, die eine Ablenkung des Jetstreams (und damit eine ernstzunehmende Beeinflussung des Weltklimas) durch Treibhausgase nahelegen. Die treibhausgasbedingte globale Erwärmung vollzieht sich nämlich nicht überall gleich, Kontinente erwärmen sich schneller als Ozeane, Polkappen erwärmen sich stärker als die Tropen. Dadurch sinkt das Gefälle zwischen dem Äquator und den Polen. Die Jetstreams werden langsamer und geraten ins Trudeln. Das Schlingern des Polarjetstreams vergrößert die Amplituden der Rossby-Wellen, das darunterliegende Wetter, Hoch- und Tiefdruckgebiete werden nördlich und südlich mitgerissen und auf diese Weise landet spanisches Wetter in Deutschland und umgedreht. Man kann also davon ausgehen, dass das Außerkraftsetzen jahrhundertealter Bauernregeln menschengemacht ist.
Ja, wir haben unser Wetter verschoben, Und es ist erschreckend, wie wenig wir darüber wissen.
Von Kati Niermann, September 2020
Dossier 142: Wind und Wetter
Schlagwörter: Moderne Welt