EU-Pässe: Für 70 Euro steht uns die Welt offen

Vielen steht für 70 Euro die ganze Welt offen.
Rund 450 Millionen Bürgerinnen und Bürger der EU können ihn beantragen, viele weitere würden ihn gern haben und einige geben Millionen für ihn aus: der bordeauxviolette Reisepass der 27 EU-Mitgliedsstaaten.
Es ist ein Fast-Jubiläum. Seit 50 Jahren (1975) gibt es Bemühungen, die Reisepässe der EU-Mitgliedstaaten zu vereinheitlichen. Auch um ein politisches Gemeinschaftsgefühl zu zeigen. 1981 gab es eine erste Entschließung, 1982 folgten ergänzende Entschließungen sowie Beschlüsse. Die ersten Reisepässe in Bordeauxviolett (RAL 4004) führte Deutschland schließlich 1988 ein. Und es geht weiter. Seit 2005 gibt es elektronische Pässe, die eine fortlaufende Koordinierung von IT-Systemen und den Abgleich von Datensätzen erfordern. Die Harmonisierung von Ausweisen im Kartenformat, Diplomatenpässen, Dienstpässen und Reiseausweisen steht noch weitgehend aus.
Das Brexit-Lager sah in der Rückkehr zum vormals blauen Reisepass sogar einen vermeintlich triftigen Grund für den EU-Austritt. Fakt ist allerdings, dass das Bordeauxviolett lediglich eine Empfehlung, keine Pflicht ist. Nicht alle 27 EU-Mitgliedstaaten setzen 2025 diese Empfehlung um, Kroatien pflegt eine blaue Reisepassfarbe. Und, nicht alle Passinhaberinnen und -inhaber eines EU-Mitgliedstaats haben Anspruch auf den bordeauxvioletten EU-Reisepass (z.B. die Faröer, die nicht Teil der EU, aber des Königreichs Dänemark sind).
70 Euro ist der reguläre Preis für die Ausstellung eines deutschen Reisepasses in Bordeauxviolett. Wer in Spanien gemeldet ist, zahlt 101 Euro und wer seinen Reisepass in Spanien beantragt, aber in Deutschland gemeldet ist, zahlt 171 Euro. Der spanische Reisepass ist bei einem Preis ab 30 Euro günstiger. Streng genommen gibt es den “EU-Reisepass” nicht. Fragen der Staatsangehörigkeit, und letztendlich Reisepässe, liegen im Zuständigkeitsbereich der EU-Mitgliedstaaten. Doch mit einem Pass eines EU-Landes erlangt man in der Regel Bewegungsfreiheit im gesamten Europäischen Wirtschaftsraum (27-EU-Mitgliedstaaten, Island, Liechtenstein, Norwegen und Schweiz).
Starke EU-Pässe für teures Geld
EU-Pässe sind seit langem heiß begehrt und mit Blick auf die aktuelle Weltlage sowieso. Laut Henley Passport Index 2025 hat Singapur derzeit den stärksten Reisepass der Welt, ermöglicht Reisefreiheit (visafreie Einreise) in 194 Staaten und Territorien. Japan und Südkorea teilen sich Platz 2 (190 Staaten). Die EU-Staaten Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Irland, Italien und Spanien teilen sich Platz 3 (189). Selbst das Schlusslicht unter den EU-Staaten, Bulgarien, schneidet weltweit gut ab und teilt sich Platz 13 mit Monaco (177).
Laut Schätzungen des Wissenschaftlichen Dienstes des Europäischen Parlaments (EPRS) erlangten allein von 2011 bis 2019 mehr als 132.000 Personen Aufenthaltsrechte oder Einbürgerungen über Investitionen in Höhe von mehr als 21 Milliarden Euro in mehreren EU-Staaten. Die 2017 ermordete maltesische Journalistin Daphne Caruana Galizia hatte zu Lebzeiten vor den Risiken der Pässe gegen Geldzahlung gewarnt. Im April 2025 stufte der Europäische Gerichtshof (EuGH) Maltas ‚Goldene Pässe‘ (Staatsbürgerschaft durch Investitionen) als rechtswidrig ein. Die einfachere Aufenthaltsgenehmigung nach Immobilieninvestments ab 500.000 Euro ist auch in Spanien seit April 2025 passé. Russen, Chinesen und nun verstärkt US-Staatsangehörige… Das Interesse an EU-Pässen ist weiterhin groß. Das Katz-und-Maus-Spiel wird weitergehen und die verstärkte Integration auf EU-Ebene bleibt unabdingbar.
EU-Bürgerinnen und -Bürger benötigen keinen Reisepass, um freie Einreise und freien Aufenthalt in der ganzen EU (EU-Freizügigkeit) zu genießen. In der Regel genügt der Personalausweis; eine große Errungenschaft. Darüber hinaus steht vielen von uns für 70 Euro die ganze Welt offen. In Zeiten der sich schließenden Tore ist das ein wahres Privileg.
Von Kolja Bienert, August 2025
Schlagwörter: Europa