Simone Veil – Europäerin mit Geschichte für ein besseres Europa der Zukunft
Simone Veil, Holocaust-Überlebende, Politikerin, Juristin und Feministin wäre im Juli 2017 90 Jahre alt geworden.
Zur Verbildlichung des europäischen Umgangs mit der Judenverfolgung hat sie gerne folgende Geschichte erzählt: auf einer Party habe sie ein Diplomat gefragt, ob die auf ihren Arm tätowierte Nummer ihre Garderobennummer sei. Danach trug sie jahrelang langärmelige Kleidung, um ihre KZ-Nummer 78651 zu verbergen, aber entschied sich dennoch, sie nicht entfernen zu lassen. In ihrer Rede vor dem Bundestag zum Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus mahnte sie 2004: „als Voraussetzung für eine freie Zukunft braucht dieses versöhnte Europa ein dauerhaftes Fundament, das auf zwei Pfeilern beruht: Weitergabe der Erinnerung und Demokratie“. Und genau diesen zwei Eckpfeilern hat sie sich ihr Leben lang gewidmet.
1927 in Nizza als Tochter eines jüdischen Architekten geboren, wurde sie 1944 mit ihrer Familie in die Konzentrationslager von Auschwitz und Bergen-Belsen deportiert, die nur sie und ihre Schwester überlebten. Veil hielt die Erinnerung an den Holocaust immer aufrecht. 2009 sagte sie, dass sie noch an dem Tag an dem sie stürbe, an den Holocaust denken würde.
Kurz nach Kriegsende schrieb sie sich bereits am Pariser Institut d’Etudes Politiques ein und studierte Jura und Politikwissenschaften. Sie heiratete, bekam drei Kinder und trat 1957 in die Laufbahn als Verwaltungsbeamtin im Justizministerium ein. Und nun reihen sich die außerordentlichen Leistungen und Posten – insbesondere als Frau in dieser Zeit – ihr Leben lang einander. 1970 wurde Veil als erste Frau Generalsekretärin des “Conseil supérieur de la magistrature”. Vier Jahre später erhielt sie – von Giscard d’Estaing gefördert – als erste Frau ein Ministeramt. Als Gesundheitsministerin setzte sie sich besonders für die Belange der Frau ein und das nach ihr benannte „Gesetz Veil“ (loi Veil) reformierte das Abtreibungsrecht hin zur Straffreiheit der Abtreibung. Das Gesetzesvorhaben war im konservativ-katholischen Frankreich stark umstritten und konnte nur mit Stimmen der linken Opposition angenommen werden.
In der liberalkonservativen Partei von Giscard d’Estaing wurde sie als Spitzenkandidatin 1979 ins Europaparlament gewählt, das sie zu ihrer ersten weiblichen Präsidentin wählte. Als Europaparlamentspräsidentin und auch später setzte sie sich nachdrücklich für Europa ein. Für diese Verdienste erhielt sie 1981 den Internationalen Karlspreis der Stadt Aachen. Zurück in Paris wurde sie 1993 Ministerin für Gesundheit, Soziales und Stadtpolitik, wobei sie als erste Frau zur Staatsministerin ernannt wurde. Seit 1998 war Veil Mitglied des französischen Verfassungsrates.
Und auch nach ihrem Tod bleibt sie außergewöhnlich. Zur Ehrung ihrer Lebensleistung entschied Staatspräsident Macron, dass sie ihre letzte Ruhe im Pariser Pantheon finden soll. Nur vier weiteren Frauen wurde diese Ehre ebenfalls zuteil, zwei Résistance-Kämpferinnen und zwei Wissenschaftlerinnen, darunter Marie Curie, neben 76 Männern.
Veil verkörpert die Europäerin, die durch ihre eigene Geschichte in vielen Dingen Vorbild und Vorreiterin ist. Wie Macron es bei der offiziellen Trauerzeremonie zutreffend formulierte, hat Veil viele Kämpfe des vergangenen Jahrhunderts durchgefochten – gegen Rassismus und Antisemitismus, für die Frauen, für Europa und für Gerechtigkeit. Die Erinnerung daran können wir weitertragen.
Von Alma Laiadhi
Schlagwörter: Biografisches, Europa, Frauen, Interviews