Das zwiegespaltene Bild von La Malinche

La Malinche- zwischen Spaniern und Lateinamerikanern
Foto: Kati Niermann
Immer auf der Suche nach weiblichen Vorbildern in der Geschichte bin ich neulich über „La Malinche“ gestolpert. Eine Frau, die in Europa nahezu unbekannt ist und doch die Geschichte der Völkerverständigung entscheidend mitgeprägt hat.
Malinche lebte ca. von 1505 bis 1529 auf dem heutigen Gebiet von Mexico. Sie wurde in eine gutsituierte aztekische Familie hineingeboren, das kann man heute anhand ihres aus geschichtlichen Quellen ersichtlichen Bildungsgrades sagen. Als ihr Vater früh verstarb, heiratete ihre Mutter erneut und bekam einen Sohn. Wohl um dessen Erbanspruch sicherzustellen (oder aber um ihre Tochter zu schützen) verkaufte die Mutter sie an die Maya in die Sklaverei und erklärte sie für tot.
Malinches Schicksal wäre besiegelt gewesen, wenn nicht just Hernán Cortés von Kuba aus einem Eroberungsfeldzug an die mittelamerikanische Küste gestartet hätte. Nach zwei vergeblichen von Velazquez ausgerüsteten Expeditionen sollte Cortés nun das Land einnehmen. Als er die Maya am Fluss Tabasco gewaltsam unterworfen hatte, bekam er im März 1519 20 Sklavinnen als Tribut, unter ihnen Malinche.
Ein Glücksgriff war für Cortés, dass er auf Cozumel den gestrandeten Spanier Aguilar aufgriff, der acht Jahre in Gefangenschaft bei den Maya gelebt hatte. Dieser konnte Übersetzungsdienste leisten. Doch als Cortés aztekisches Gebiet betrat, wurde der Übersetzer wertlos, da hier das den Maya unbekannte Nahuatl gesprochen wurde. Malinche, die ihre Muttersprache wiedererkannte, wurde mit ihren knapp 15 Jahren zur Übersetzerin. Zuerst noch mithilfe von Aguilar auf dem Umweg über die Maya-Sprache. Doch sehr bald schon hatte Malinche sich auch das Spanische angeeignet, so dass sie direkt übersetzen konnte.
Dies war wahrscheinlich auch der Zeitpunkt, an dem sie Cortés Geliebte wurde. Das Konkubinat war damals nicht unüblich, jedoch nur mit christlichen Frauen erlaubt, weswegen alle Sklavinnen getauft wurden. Malinche stieg als Doña Marina zur mächtigsten Frau Neuspaniens auf. Sie enttarnte Spione in Verhören und leitete die Gespräche zwischen Cortés und dem aztekischen Herrscher Moctezuma. Sie war nicht mehr nur Übersetzerin, sondern lenkte die Kommunikation diplomatisch, indem sie ihr Wissen über die Beziehungen zwischen den Völkern einsetzte. Auf diese Weise zog sie die den Azteken tributverpflichteten Stämme auf Cortés Seite, so dass dieser mit einer Streitmacht aus größtenteils einheimischen Kriegern Tenochtitlan, das Zentrum des heutigen Mexico, einnehmen konnte.
Malinche gebar eines der ersten anerkannten Mestizenkinder, Martin Cortés, der unter den Spaniern sogar den Beinamen El Mestizo erhielt. Heute bilden die Mestizen die Mehrheit der mexikanischen Bevölkerung. Nach der geglückten Eroberung kehrte Cortés zu seiner Ehefrau zurück. Malinche geriet für die spanischen Geschichtsschreiber in Vergessenheit. Zeitpunkt und Umstände ihres Todes sind kaum näher bestimmbar. Sie starb wahrscheinlich 1529 mit noch nicht einmal 25 Jahren.
Streitbar ist Malinche noch heute, weil niemand einordnen konnte, warum sie Cortés so unglaublich viel Macht verschaffte. War es Rache an den Azteken, die sie in die Sklaverei gegeben hatten, Dankbarkeit für ihre Befreiung, Liebe oder der Glaube, dass Cortés der mythische Herrscher sei, der den Azteken prophezeit worden war?
Im Mexikanischen wurde aus ihrem Namen der Begriff malinchismo geprägt, der den Verrat am eigenen Volk bezeichnet. Sie wird aber auch als Mutter der Nation angesehen, weil sie den angeblich ersten Mestizen geboren hat. Überhöhte Mutter oder Werkzeug des Übels, beide Extreme wurden ihr erst in der neueren Zeit übergestülpt, denn sie setzen eine mexikanische Nation voraus, die es zu ihren Lebzeiten noch gar nicht gab.
Bleibt die Frage, warum wird Malinche so sehr polarisiert? Vielleicht liegt es daran, dass sie eine sehr junge Frau war, die ihre Zukunft selbst in die Hand nahm und ihre Fähigkeiten und ihre Weiblichkeit nutzte, um sich eine mächtige Stellung in der Welt zu verschaffen. Sie war von den Azteken verkauft, von den Mayas versklavt und sollte trotzdem loyal zu den Einheimischen stehen, weil das System es so vorsah.
Malinche wählte einen anderen Weg, stand neben Cortés an erster Stelle und setzte sich denselben Gefahren aus wie er. Es scheint nur Recht, dass sie die Früchte ihrer Stellung auskostete. Ihr stattdessen als einer Schlüsselfigur der Conquista die Schuld an allem nachfolgenden Übel für die Nation anzulasten, ist nicht nur frauenfeindlich, es wird auch der Komplexität ihrer Persönlichkeit nicht gerecht.
Heute wird eine dritte versöhnliche Sichtweise möglich, die Malinche als das einende Glied zwischen den Spaniern und den Lateinamerikanern sieht. Der Feldzug von Cortés wäre sicher um einiges grausamer ausgefallen, wenn sie nicht zugunsten beider Seiten diplomatisch eingewirkt hätte. Die Gräueltaten der Spanier müssen anderen zugeschrieben werden. Malinche war eine mutige, gebildete Frau, die sich weder von Azteken oder Mayas, noch von den Spaniern bezwingen ließ.
Von Kati Niermann, Dezember 2022
Zum Weiterlesen
Elisa Queijeiro – Una patria con madre: la historia de Malinche que nos libera (2022, Grijalbo Mondadori)
Schlagwörter: Frauen, Kultur