Der erste europäische klimaneutrale Film
Während der 23. Filmfestspiele in Málaga vom 21. bis 30. August wurde unter der Rubrik „Besondere Premieren – Estrenos Especiales“ der erste europäische klimaneutrale Film gezeigt.
Der Film El secreto de Ibosim des Regisseurs Miguel Ángel Tobias wurde 2018 auf Ibiza gedreht und erzählt die Geschichte von Manuel, einem unerbittlichen Geschäftsmann, der plötzlich ruiniert ist, als er versucht, den Mineralreichtum unter der Insel Ibiza auszubeuten und dabei auch die Zerstörung der Insel in Kauf nimmt. Auf unerklärliche Weise verliert er bei diesem Versuch alles. Er ist verzweifelt und segelt mit seinem Boot auf das Meer hinaus. Als er im Begriff ist zu sterben, wird er von Tanit, der wichtigsten Göttin der karthagischen Mythologie, aus dem Meer gerettet. Tanit bringt Manuel zurück nach Ibiza und macht ihn bei einer Reise um die Insel mit sehr unterschiedlichen Menschen bekannt, deren Charaktere von realen Personen inspiriert sind. Tanit hilft Manuel auf diese Art, das Beste an sich selbst zu entdecken.
Bei diesem Film sind nicht nur die Geschichte und der Drehort besonders, ein weiteres Merkmal des Films ist dessen Klimaneutralität. Das Ziel des Regisseurs Miguel Ángel Tobias war es, den Film ökologisch und nachhaltig zu produzieren. Neben der Reduzierung des Abfalls sollte ein CO2-freier Fußabdruck erreicht werden. Miguel Ángel Tobias wollte für einen Film über das Thema Umwelt mit der Produktion eines klimaneutralen Films einen Kreis schließen. Dem Filmteam standen bei diesem schwierigen Vorhaben keine Vorgaben für eine nachhaltige Produktion zur Verfügung. Das technische Produktionsteam und die Darsteller*innen Rudolfo Sancho, Miguel Molina, Xenia Tostado, Cayetana Guillem Cuervo, Miriam Diaz-Aroca, Grecia Castner u.a. haben in einem gemeinsamen Prozess alle Maßnahmen nach und nach selber entwickelt.
Der Regisseur beschrieb in mehreren Interviews, dass folgende Maßnahmen ergriffen wurden: Auf der Insel wurde Elektromobilität eingesetzt, der Material- und Personentransfer vom Festland zur Insel erfolgte statt mit dem Flugzeug per Boot. Es wurden nicht, wie sonst oft üblich, künstliche Sets aus Styropor aufgebaut, sondern alles in natürlicher Umgebung aufgezeichnet. So sind in dem Film Es Vedrá, Talamanca, Platges de Comte und viele andere Orte zu sehen. Für das Catering wurden regionale Biolebensmittel verwendet. Die Kleidung der Schauspieler*innen war ökologisch und/oder aus 2. Hand. Der Einsatz von Plastik wurde auf ein Minimum reduziert. Der Regisseur räumte ein, dass dies nur soweit möglich war, wie die Technologie es zugelassen hat, denn z.B. enthält ja auch eine Kamera Plastik.
Nach Abschluss der Produktion wurde eine Überprüfung des erzeugten CO2-Fußabdrucks vorgenommen und trotz der ergriffenen Maßnahmen ein Ausstoß von 40t CO2 festgestellt. Das Team wollte diese mit der Unterstützung eines Baumpflanzprojektes an den Ufern des Flusses Chícamo in Murcia kompensieren. Es wurden hierdurch 340 Tonnen – also 300 mehr als ausgestoßen – kompensiert. Nach der Aussaat erhielt Miguel Ángel Tobias ein Zertifikat für den ersten klimaneutral produzierten europäischen Film und seine hierfür geleistete Pionierarbeit.
Filmproduktion und Klimaneutralität
Den Umfang dieser Pionierarbeit können wir etwas besser einschätzen, wenn wir uns normale Filmproduktionen ansehen. Im Allgemeinen ist die Filmproduktion alles andere als sauber, und der größte
Ressourcenverbrauch und die stärkste Umweltbelastung entstehen bei den Dreharbeiten. Crews jetten von Drehort zu Drehort, der Strom vor Ort kommt aus Dieselgeneratoren und die vielen Styroporkulissen landen nach dem letzten Drehtag auf dem Sperrmüll. Der ökologische Fußabdruck eines Films kann so mehrere Hundert Tonnen CO2 betragen – bei US-Blockbustern sogar mehrere Tausend.
In Deutschland hat der Arbeitskreis Green Shooting (2017 von der Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg (MFG) gegründet) einen CO2-Rechner für die Filmbranche entwickelt und anhand einer Tatort-Folge des SWR untersucht, wie viel CO2-Emissionen eingespart werden können. Das Ergebnis war fast die Hälfte der durchschnittlich bei einer Tatort Produktion freigesetzten 100-140 Tonnen CO2. Zum Vergleich: Um eine Tonne CO2 aufzunehmen, muss eine Buche 80 Jahre wachsen, oder wenn wir uns das Volumen vorstellen, entspricht eine Tonne CO2 einem Würfel mit 7,95 Meter Kantenlänge. Stellen wir uns doch mal die Tatorte eines Jahres mit einem „normalen“ CO2-Ausstoß von 200 bis 300 Tonnen gestapelt vor!
Europäische Filmproduktion und die Nachhaltigkeit.
Die europäische Filmbranche hat sich inzwischen auf den Weg gemacht, wenn auch langsam. In Deutschland hat die Kulturstaatsministerin Monika Grütters am 19. Februar 2020 zusammen mit hochrangigen Vertreterinnen und Vertretern der deutschen Film- und Fernsehbranche eine gemeinsame Erklärung zur Nachhaltigkeit in der Film- und Serienproduktion unterzeichnet. Zu den Unterzeichnern gehören die ARD, Deutsche Welle, der FilmFernsehFonds Bayern, die Filmförderungsanstalt (FFA), die Internationalen Filmfestspiele Berlin, Sky, das ZDF und die Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg. Die Staatsministerin kündigte die Einführung eines freiwilligen Zertifikats an, mit dem in Zukunft besonders nachhaltige Produktionen ausgezeichnet werden sollen. Im Sommer 2020 wurde mit einer wissenschaftlich begleiteten Pilotphase begonnen.
In Spanien hat die Akademie der Filmkünste und -wissenschaften am 26. Dezember 2019 die Einhaltung des vom European Producers Club (EPC, Organisation von 130 bekannten unabhängigen Film- und TV-Produzenten) festgelegten Standards zur Reduzierung der Umweltauswirkungen durch die Filmproduktion angekündigt. In den Standards wird u.a. vorgeschlagen, dass die Produzenten*innen sich im Bereich der nachhaltigen Produktion in der Filmproduktion fortbilden. Zu den weiteren Maßnahmen sollen gehören: Der Einsatz von Elektromobilität, die Reduzierung des Abfalls und die Vermeidung von Flügen sowie die Prüfung des erzeugten CO2-Fußabdrucks.
Viele dieser Maßnahmen wurden bereits ein Jahr zuvor bei der Produktion von El secreto de Ibosim eingesetzt. So hat der Regisseur Miguel Ángel Tobias wirklich Pionierarbeit auf diesem Gebiet geleistet. Hoffentlich wird der Film bald in den Kinos zu sehen sein.
Von Elisa Heinrich, September 2020
Dossier Nr. 142: Wind und Wetter
Schlagwörter: Sehenswert