Die Macht der Worte
Heute starte ich mit einer kleinen Hommage an unseren Redakteur Rainer Lorson, der uns bisher schon mit so vielen tollen Buchtipps begeistert hat. Unsere Leser*innen erwarten immer mit Spannung seine Auswahl, um sich auf die Bücher zu stürzen. Schade ist, dass die Buchtipps genau jetzt ausgefallen sind, in dieser dunklen Zeit der Unsicherheiten um das Covid19, die uns seit Monaten beschäftigen. „Das Licht des Mondes fehlt uns in den dunklen Nächten am meisten,“ sagt ein arabisches Sprichwort. Wir wünschen uns, dass er bald wieder Zeit findet, für uns zu schreiben. In diesem Moment der Leere versuche ich seinen Staffelstab aufzunehmen, auch wenn mir bewusst ist, dass es schwer wird, es ihm gleich zu tun. Zwei meiner Sommerlektüren drehten sich dieses Jahr um Sprache.
Der Chef von Bündnis 90/Die Grünen und Philosophieprofessor Robert Habeck setzt sich in seinem neuen Buch Wer wir sein könnten damit auseinander, warum unsere Demokratien offene und vielfältige Sprache brauchen. Sprache ist nicht unschuldig, jedes gesprochene Wort nimmt Raum ein. Wir können dann keinen Rückzieher mehr machen: „Das war nur so gesagt“, „Das habe ich doch gar nicht so gemeint“. Wir sollten uns vorher überlegen, was wir in welchem Zusammenhang sagen. Nur Sprechen reicht nicht, wir müssen auch darüber nachdenken. Habeck sagt: „Wenn wir sprechen, entscheiden wir darüber, wer wir sind.“ Wir setzen uns mit unserer Umwelt aktiv auseinander, das ist unsere Freiheit.
Die Kolumnistin Kübra Gümüşay geht in ihrem Buch Sprache und Sein noch einen Schritt weiter. Sprache prägt unser Denken. Wir als handelnde Personen werden davon geprägt. Aber manchmal fehlen uns die Worte. Wie können wir in Zeiten harter, hasserfüllter Diskurse anders miteinander kommunizieren, damit Kritik und Häme nicht zur digitalen Währung werden? „Das politische Erwachen ist ein Prozess, keine Position“, sagt sie. Orte des öffentlichen Denkens und Austausches müssen möglich bleiben, ohne Diskriminierung und Hass. Hetze und Verunglimpfung schaffen es natürlich schneller in die Schlagzeilen als gutes Miteinander.
Wer kennt den Wert des Wortes besser als unsere Taschenspiegel-Autor*innen?! Wir setzen uns mit Sprache auseinander und sorgen dafür, dass das richtige Wort am richtigen Ort steht. Um es mit der Feministin Roxane Gay zu sagen: „Ich versuche etwas nach außen zu tragen, woran ich glaube. Mit Schreiben Aufmerksamkeit erreichen“.
Von Ina Laiadhi, Chefredakteurin
Editorial 142, September 2020
Lestipps von Rainer Lorson: 2019 2018
Schlagwörter: Literatur