„FRIEDE-FRIEDE-FRIEDE“
Nicht nur zur Weihnachtszeit
Vor ein paar Tagen erinnerte mich eine Internet-Meldung unsanft daran, dass sich in einigen Wochen zum 2019. Mal der Geburtstag des größten Religionsstifters jährt.
Ein verwirrt-besorgt-verärgerter Vater postete den Wunschzettel seiner 10-jährigen Tochter, der u.a. ein Telefon und einen Computer der Marke des angebissenen Apfels sowie praktischerweise das Verlangen nach $4000 in bar erhielt. Spätestens danach war es mir unmöglich, noch länger das Heranrollen der Licht- und Harmonie schreienden Festivitäten komplett zu ignorieren, und es breitete sich – wie alle Jahre wieder – in ihrer ganzen unheilvollen Gänze in mir die Erkenntnis aus, dass mit Weihnachten schon lang etwas nicht mehr stimmt. Ebenso – wie schon seit Jahrzehnten – mündete das akute Unbehagen in den sehnsuchtsvollen Wunsch, einmal, nur ein einziges Mal die Feiertage dort verbringen zu dürfen, wo die 100% Verschonung vor Friede, Freude, Eierpunsch garantiert sein möge. Außer den Dörfern indigener Völker in verschiedenen Regenwäldern der Erde (beide, sowohl die Völker als auch die Wälder, sollte man aber tunlichst in Ruhe lassen, weil die derzeit von wesentlich grundlegenderen Problemen geplagt werden) und äußerst unwirtlichen und lebensfeindlichen Gegenden wollen mir jedoch keine adäquaten Orte einfallen. So bleibt am Ende nur noch der Rückzug in das einzige Paradies, aus dem man nicht vertrieben werden kann, nämlich das der Erinnerung, und zwar an die Zeiten, als auch die Weihnachts-Welt noch in Ordnung war.
In diametralem Kontrast zu der oben erläuterten Wunschliste fällt mir dazu das Weihnachtsgedicht von Anna Ritter aus dem 19. Jahrhundert ein , wo ein neugieriges Kind das Christkind entdeckt hat, wie es sich mit seinem schweren Geschenksack aufmacht, um die Kinder zu beglücken. Es endet mit der Zeile „Es roch so nach Äpfeln und Nüssen“, was eine ungefähre Vorstellung davon vermittelt, wie bescheiden und fern dem Konsumterror die Geschenkkultur damals war und wie mit vergleichsweise schlichten Mitteln den Kindern ein unvergessliches Erlebnis bereitet werden konnte.
In den späten 60er und frühen 70er Jahren wurde die Adventszeit, also die Vorweihnachtswartezeit, dadurch bereichert, dass das ZDF die Weihnachts-Vierteiler erfand, die meist die ganze Familie zumindest an vier Adventssonntagen für zwei Stunden gemeinsam auf das Sofa zwang. Damals, als das Fernsehen noch Strahlkraft hatte und nicht bloß „gesendet“ wurde, strahlte man adaptierte Klassiker der Weltliteratur aus – und nicht selten fand sich dann der eben gesehen Robinson Crusoe, Tom Sawyer oder Lederstrumpf in gedruckter Form unter dem Weihnachtsbaum wieder. Zusätzlich waren die Verfilmungen der wichtigsten Weihnachtsgeschichten eine willkommene Bereicherung: Der kleine Lord, Weihnachten in Bullerbü , Ein Weihnachtsgeschichte, Das Mädchen mit den Schwefelhölzern, Nils Holgerssons wunderbare Reise mit den Wildgänsen und viele mehr.
Ende der 70er erlangte Loriots „Weihnachten bei Hoppenstetts“ Kultstatus: nie vorher war die heile Weihnachtswelt im Fernsehen so gnadenlos demontiert worden wie während dieser 25 Minuten, und „Zickezacke, Hühnerkacke“ wurde zum Weihnachtsgedicht des ausgehenden Jahrzehnts. Im Fahrwasser Loriots kam aber auch die TV-Satire von Nobel-Autor Heinrich Böll wieder zu Ehren, die zwar schon 1970 gedreht worden war, aber wegen ihres Rundumschlages gegen das gesamte deutsche Spießertum ziemlich schnell wieder in der Schublade der Sendeanstalt verschwunden war.
Wenn man also oben gelistete Empfehlungen in Buch und Literatur übersetzt, ist für jeden etwas dabei: Abenteuer, Märchen, Romantik, Tradition, Satire – es lohnt sich also durchaus, mal wieder zurück zum Einfachen und Bewährten zu gehen.
Zusätzlich seien noch zwei Titel empfohlen, die inzwischen auch schon Klassikerstatus erlangt haben. Die Kinder in „Hilfe, die Herdmanns kommen“ von Barbara Robinson sind die schlimmsten der Welt, machen alles, was Kinder nicht sollen und dürfen und erschleichen sich im Weihnachtskrippenspiel die besten Rollen. Wie die Herdmann-Kinder die Aufführung und fast das ganze Fest auf den Kopf stellen, ist vorgelesen oder als Hörspiel ein famoser Spaß für die ganze Familie. Für die Kleineren (aber nicht nur) empfiehlt sich „Pettersson kriegt Weihnachtsbesuch“: Bei Pettersson und Findus droht das Weihnachtsfest zu einem kompletten Desaster zu werden, weil zuerst wegen des schlechten Wetters nichts eingekauft werden konnte und sich Pettersson dann auch noch den Fuß verstaucht. Wie dann aber mit Hilfe der Nachbarn am Ende alles noch eine gute Wendung nimmt, erklärt eindrücklich, was den Kern des Weihnachtsfestes ausmacht und ist eine der warmherzigsten Geschichten überhaupt.
Von Rainer Lorson, Dezember 2019
Fragen Sie den/die BuchhändlerIn Ihres Vertrauens nach aktuellen Ausgaben der o.e. Klassiker – er/sie wird sich vielleicht freuen, zur Abwechslung etwas jenseits des Mainstreams verkaufen zu dürfen.
Die erwähnten Weihnachts-Vierteiler sind sicherlich etwas für Nostalgiker, waren aber als damals sehr aufwendige Produktionen, ihrer Zeit weit voraus und haben auch noch Jahrzehnte später nichts von ihrem Charme verloren. Allen voran seien empfohlen:
Robinson Crusoe (mit Robert Hoffmann,1964) “,
Die Schatzinsel (mit Michael Ande, 1966) und
Lederstrumpf (mit Hellmut Lange, 1969) – alle auf DVD erhältlich).
Familie Hoppenstett findet sich auf YOUTUBE, Nicht nur zur Weihnachtszeit auf Daily Motion.
Frohes Fest – und wenn es „PUFF“ macht, dann haben Sie was falsch gemacht.
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