Europa reformieren, jetzt!
Der Kater der Wahlen in Österreich, Frankreich und in den Niederlanden war gerade erst überstanden. Und nun heißt es “Quo vadis?”, Italien, die viertgrößte Volkswirtschaft der Union, in der euroskeptische Parteien bei den letzten Wahlen das Rennen gemacht haben.
Es gibt einen Unterschied zwischen denen, die Kritik an der EU üben, und denen, die pauschal “Europa muss weg” sagen. Wohin weg und was dann, wird zwar nicht oft erläutert, aber gerade den Kritikern und Gegnern sollte man aufmerksam zuhören. Denn genau so hat sich die EU in den letzten 60 Jahren im demokratischen Meinungsaustausch stetig weiterentwickelt. Trotz aller Kritik steht eine große Mehrheit hinter der Friedensidee des europäischen Aufbauprojekts und will ein in Vielfalt geeintes Europa. Nur eben auch ein besseres Europa. In zunehmend stürmischen Zeiten ist das eine enorme politische Rückendeckung.
Einige bedauern, die Zeiten von Pioniergeist und des Zusammenwachsens seien vorbei. Das stimmt so aber nicht. Europa wächst weiterhin zusammen und gilt nach wie vor als Erfolgsgeschichte einer in der Welt beispiellosen Einigung von knapp 30 Mitgliedstaaten. Was neu ist, ist die kritische Auseinandersetzung mit der EU, man schaut genauer hin, weil die EU überhaupt erst zu einem sichtbaren, politischen Mitspieler geworden ist. Und politische Visionen haben das Zusammenwachsen Europas zwar früher stärker beflügelt, aber Grenzzäune einzureißen, die allgemeine Freizügigkeit (Reisefreiheit) durchzuboxen oder das Erasmus-Programm zum Erfolg zu machen, war zu keinem Zeitpunkt ein politisches Zuckerschlecken. Europa war, ist und bleibt ein zähes Unterfangen.
Von Drittstaaten wird die EU fast schon systematisch torpediert, sicher auch, um von eigenen, innenpolitischen Missständen abzulenken. Aber, Hand aufs Herz, wer in der EU möchte denn mit immer stärker eingeschränkten Bürgerrechten leben, wie in einigen Nachbarländern? Ohne Zweifel sind auch in der EU die Verteidigung der Bürgerrechte und die soziale Gerechtigkeit gehörig ins Straucheln geraten, dennoch sind sie – noch – eine klare Stärke der EU. Eine Stärke, für die man jetzt kämpfen muss. Die Finanz- und Eurokrise der letzten zehn Jahre sowie der Aufstieg Asiens haben das EU-Versprechen von Frieden und Wohlstand unter enormen Druck gesetzt und in einigen Ländern sogar ausgehöhlt.
Es wäre für unsere Politikerinnen und Politiker ein Leichtes zu sagen “Schaut her, wir sind (noch) der reichste Kontinent der Welt, uns geht nicht immer gut, aber immer besser als allen anderen. Soll es so bleiben, müssen wir die Weichen für die Zukunft stellen.” Gemessen an EU-Sympathiebekundungen ist Europa allen natürlich sehr wichtig, aber scheinbar genauso natürlich sträuben sich politische Parteien konsequent vor großen Reformen. Auch bei der Regierungsbildung in Deutschland war Europa ein wichtiges Thema. So wichtig, dass man die Details vorsichtshalber aufs politische Stövchen gesetzt hatte.
Heiko Maas war als neuer Außenministers der Großen Koalition noch am Tag seines Amtsantritts in Paris, wo auch die EU-Reformvorschläge von Frankreichs Premierminister Emmanuel Macron zur Sprache gebracht worden sein dürften. Themen zum Anpacken gibt es zur Genüge: Euro-Zone, EU-Asylrecht, Brexit, Demokratisierung, der Handelskrieg mit den USA und eben auch die Beziehung zum erstarkten Asien.
Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut, trotz aller Sympathiebekundungen ist es letztendlich aber doch gefallen. Wählerstimmen hin oder her, Lippenbekenntnisse reichen nicht mehr; es ist an der Zeit, offen zu sein für grundlegenden EU-Reformen, um Demokratie und Bürgerrechte zu stärken. Im Jahr 2019 stehen Europawahlen ins Haus, werden Sie wählen gehen? Ich möchte Sie dazu ermutigen!
Europa hat sich in den letzten zehn Jahren stark auf Deutschland besonnen, nun sollte Deutschland sich auf auch Europa besinnen. Mehr als ein wirtschaftlicher Binnenmarkt muss Europa auch zu einer wahrhaftigen Demokratie mit mehr als 500 Millionen Bürgerinnen und Bürgern werden. Oder sehen Sie eine bessere Alternative?
Von Kolja Bienert
Schlagwörter: Europa