Wir müssen die Jugendlichen wieder aus der digitalen Nische herausholen
Interview Holger zur Hausen, Leiter Deutsche Schule Barcelona
Wir treffen den Schulleiter Holger zur Hausen in seinem Büro in der DSB kurz vor einem der letzten offiziellen Events der Schule vor den Sommerferien.
Wer ist Holger zur Hausen?
Niemand Spannendes. Ein fast 50jähriger, sich immer noch jünger fühlender Schulleiter, der nie Lehrer werden wollte, der eigentlich schon Journalist war und das auch hätte bleiben wollen, bis er zufällig an die Schule geraten ist, Schulleiter wurde und den es dann nach Barcelona verschlagen hat.
Sie kommen nicht aus der Pädagogik, sondern vom Journalismus?
Ja, ich habe ganz klassisch ein Volontariat im Rahmen der Journalistenausbildung gemacht. Ich habe lange beim Radio gearbeitet. Durch einen Nebenjob bin ich an einer Haupt- und Realschule gelandet, wo ich gemerkt habe, dass es mir Spaß macht, mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten. Daraufhin habe ich das Studium zum Gymnasiallehrer nachgezogen, das Referendariat und später die Schulleiterausbildung gemacht.
Sie sind 2020 mitten in der Pandemie angekommen. Atmet die Schule gut?
Ich glaube, die Schule hat am Anfang des Schuljahres am meisten durchgeatmet, als klar war, dass nach dem Lockdown, in dem alle Schulen dicht waren, wieder Präsenzunterricht stattfinden würde. Dann gab es noch einmal ein großes Luftanhalten bis in den Winter hinein. Als dann klar wurde, dass es stabiler wurde und wir auch die Winterzeit und die 3. Welle relativ schadlos durchstehen, war ein Durchatmen zu spüren. Anders als in Deutschland haben wir das ganze Schuljahr unter denselben Vorgaben geplant. Das ist in den heutigen Zeiten Gold wert.
Die Quarantäneregeln waren sehr transparent für die Eltern.
Ja, das war sehr gut von der Generalitat vorgegeben. Die haben uns klar gesagt, wie wir es in unseren Räumen zu organisieren hätten: mit Maskenpflicht und in konstanten Gruppen. Das hat glücklicherweise gut geklappt. Wir waren immer einen Tick vorsichtiger als zu risikofreudig. Z.B. haben wir auch die Abschlussfahrten nur in Katalonien organisiert, damit die Schüler im Notfall hätten wieder abgeholt werden können.
Man kann sicher schwer beurteilen, wer am meisten unter den Maßnahmen gelitten hat, aber die jungen Erwachsenen haben sehr, sehr gelitten: Wenn man überlegt, mit 15-17, 17-19 anderthalb Jahre weggesperrt zu sein, wo auch eine Reife stattfindet, eine Sensibilisierung fürs andere Geschlecht – oder auch fürs gleiche-, wo Freundschaften in Form der Peergroup immer wichtiger werden. Ein Siebenjähriger – vorausgesetzt das häusliche Umfeld ist intakt und man hat genügend Platz zu Hause -, hält es Ieichter aus als ein 17jähriger.
Manchem Jugendlichen kam das in seiner Entwicklung vielleicht zugute, mal morgens keinen Stress zu haben.
Wir haben nicht nur Kinder und Jugendliche, die sich im sozialen Raum und in Gruppen wohl fühlen, sondern wir haben welche, die müssen das in Gesellschaft sein lernen. Die sind nun anderthalb Jahre entlernt worden und haben sich eingerichtet in dieser digitalen, einsamen Nische und die müssen wir da wieder rausholen. Das dürfen wir nicht vergessen. Das nächste Schuljahr wird deshalb sicher nicht leichter.
Bildet eine Schule heute für die Gesellschaft aus oder für das Leben?
Für das Leben, das der Gesellschaft dienen soll. Er lacht. Das Wichtigste ist, dass die Schülerinnen und Schüler glücklich und zufrieden werden und mit dem Glücklichsein ihre demokratische, an ordentlichen Normen und Werten orientierte Art und Weise ausleben und damit der Gesellschaft Gutes tun. Ob sie 3000€, 10.000€ oder nur 1000€ im Monat verdienen, das sei jedem selbst überlassen.
Nach einem Jahr und trotz Corona haben Sie sicher eine Vorstellung von der DSB. Was würden Sie hinzufügen?
Ich habe tatsächlich noch gar kein Bild von der DSB. Ich kenne die DSB nur mit Unterricht. Wenn das die DSB wäre, wie ich sie kennengelernt habe, dann müsste ich einen Haufen mit den Kolleginnen und Kollegen, den Eltern und den Schülern hinzufügen, denn so kann das nicht funktionieren. Es gab nur Unterricht. Die Schüler hatten noch nie so viel Unterricht wie in diesem Jahr. Die hatten kein Klassenfest, keinen Wandertag, nur am Schluss ein paar Ausflüge. Sie hatten nichts, was Schule im weitesten Sinne schön und interessant macht. Das hat die DSB aber alles. Ich glaube nicht, dass man viel hinzufügen muss, aber natürlich, jede neue Schulleiterin oder Schulleiter, der kommt, hat eigene Ideen, eigene Ansichten und da haben wir schon Ideen, z.B. dass wir das naturwissenschaftliche an der Schule stärken oder weiterentwickeln wollen. Der Zeit anpassen.
Man hört, dass sich die Kommunikation mit den Eltern verbessert hat. Haben Sie dazu beigetragen?
Okay. Das kann ich nicht beurteilen. Ich kann nicht sagen, wie sie vorher war. Es ist auf jeden Fall eigennützig. Denn je besser man informiert, desto weniger Konflikte entstehen, weil man im Vorfeld schon viel abfedern kann, was vielleicht sonst auf Grund von Unverständnis oder mangelnder Information aufploppen würde, Nachfragen oder Kritik wären. Das Schlimmste finde ich, wenn Kritik nur unter der Hand geäußert wird. In WhatsApp-Chats oder ähnlichem, wo man sich nicht erklären, rechtfertigen oder wehren kann. Wo Dinge falsch dargestellt werden. Das ist wie Stille Post. Auch unter ganz normalen Menschen kann das aus dem Ruder laufen. Deswegen halte ich es für wichtig, viel zu kommunizieren, wie es die Zeit zulässt. Die Eltern haben ein Recht darauf, rechtzeitig informiert zur werden.
In den letzten Monaten haben gerade Schüler und Schülerinnen einen Dämpfer in ihrer Entwicklung bekommen. Bereitet die Schule pädagogische Konzepte für zukünftige Lockdowns vor, damit es eine neue Schule gibt?
Natürlich gibt es Weiterentwicklungen. Die Pandemie hat uns da in die Situation geworfen, dass wir auf einmal I-Pads für Schüler der Oberschule ab der 5. ausgegeben haben, für die Grundschüler in I-Pad-Wägen, sodass sie in der Schule verbleiben. Es sind hervorragende digitale Konzepte entstanden. Die funktionieren noch nicht alle, da ist noch viel Arbeit. In den unteren Klassen werden wir das bald wieder zurückfahren, Klasse 5 bekommt sie nicht mehr, in Klasse 6 ist der Chat abgeschaltet, um sie ranzuführen. Inzwischen kann jede Lehrkraft sofort auf Digitalunterricht umstellen. Auch wenn Klassen in Quarantäne gehen mussten, hatten sie laut Unterrichtsplan Unterricht.
Es war ein großer Kraftakt, ohne die I-Pads und die digitalen Medien hätten wir das nicht geschafft. Alle zusammen haben wir einen Riesenschritt gemacht. Vor zwei Monaten klingelt das Telefon, Fr. Karlicek ist dran. Die Bundesbildungsministerien am Telefon? Ich dachte erst, das sei ein Fake. Aber sie hatte gehört, dass es an der DSB in Barcelona sehr gute digitale Unterrichtsarbeit gibt –keine Digitalisierung, das ist der falsche Begriff- eine digitale Unterrichtsentwicklung. Sie wollte wissen, wie das läuft. Das läuft natürlich auch dadurch, dass es enorm viel Manpower kostet.
Das Kollegium macht auch mit. Momentan sind sie natürlich froh, dass sie wieder präsent unterrichten können.
Welchen Rat geben Sie Eltern, die Ihnen von demoralisierten Kindern erzählen?
Ich glaube, dass in den letzten Monaten zum Glück die Hemmschwelle sich zur Not professionelle Hilfe zu holen, gesunken ist. Das ist meine Wahrnehmung. Das wäre mein dringender Rat, je nachdem, wie gefährlich diese Demoralisierung ist. Je nach Alter kann Demoralisierung Folgen für das ganze weitere Leben haben. Das ist nicht nur Demotivierung, sondern auch Essstörungen, oder Suizidgedanken – da müssen wir gerade Jugendliche schon im Blick behalten. Da ist Demotivierung ein Baustein, wenn auch nicht der Einzige. Ich würde raten, damit offen umzugehen, auch der Schule gegenüber in Zusammenarbeit mit den vertrauenswürdigen Lehrern und Lehrerinnen. Nicht darauf warten, dass es sich von allein löst.
Wie sehen Sie die DSB im Unterschied zu Schulen in Deutschland?
In Deutschland, je nachdem wo man herkommt und an welchen Schulen man sich bewegt, haben Privatschulen oft so den Ruf eines überall Maßen Elitären und eines Ausklammerns aus der Gesellschaft. Dieses Vorurteil begegnete mir auch, als ich sagte: Ich gehe nach Barcelona. Ich muss dieses Vorurteil entkräften. Die Schülerschaft und die Elternschaft unterscheiden sich nicht wesentlich. Man kann sowohl mit den Eltern als auch den Schülern sehr offen arbeiten. Viel Spaß macht mir, dass an einer Privatschule die Entscheidungswege wesentlich kürzer sind: mit eigener Verwaltung, die schneller über Budgets oder Anschaffungen entscheiden kann, die auch Lehrer in hohem Maße selbst einstellen kann. Sie muss nicht darauf warten, dass ein Land einem eine Kraft zuweist. Man kann viel mehr mitgestalten, das birgt natürlich die Gefahr, dass man auch umgekehrt mehr Schiffbruch erleiden kann. Wir haben mit der Verwaltungsleitung, der Directora técnica, mit zwei Stellvertretern ein großes Leitungsteam, wir können Last und Entscheidungen auf viele Schultern verteilen.
Wir sind eine private Schule mit hohem Bildungsniveau. Das merkt man bei den Schülern, die sehr motiviert sind. Die Neugierde ist hier sehr ausgeprägt. Das macht Spaß, besonders auch mit den Kollegen.
Unterricht vor den Ferien: an den letzten Tagen gibt es hauptsächlich Filme.
Das Thema ist so alt, wie es Filme gibt. Dieses Jahr ist das dadurch verstärkt, dass sämtliche Möglichkeiten wie Gruppendurchmischungen fehlen. Wir haben sehr wenig Verbindendes gemacht. Man macht Projekttage oder man macht fächerverbindenden Projektunterricht. Das geht momentan nicht. Dieses Jahr wurde fast nur Frontalunterricht gemacht. Die Schüler sind davon völlig erledigt, in Summe sind sie so ferienreif. Wenn man dann Projekttage oder Colonias machen kann, dann zehren die Kinder davon. Dann ist das Video gar nicht mehr das Thema. Wenn die spanischen Schüler schon Ferien haben und hier sind noch ein paar Tage Schule, dann sind die Schüler nicht mehr für normalen Unterricht begeistern.
Die DSB gliedert sich gut in Europäisches Gedankengut ein. Ist das Thema Europa ein wichtiges Thema?
Natürlich! Es ist ein wichtiges Thema, was in den entsprechenden Unterrichtsformen und den Projekten gestaltet wird. Oft wird es auch unterschwellig vermittelt. Allein zu vermitteln, für welche Werte man in der Regel als Europäer steht. Je nachdem in welchen Teilen Europas man aufwächst, wo man diese Werte auch offen vermitteln kann. Es ist eine schwierige Frage, wie es um Europa steht. Die Krise offenbart doch deutliche Risse. Wir leisten unseren Beitrag zu Europa. Ich halte Deutschland und Spanien für zutiefst europäische Länder. Insofern ist diese Begegnung offen von beiden Seiten. Ich denke es ist viel kontroverser, wenn sie in einem Land eine Schule leiten, das sich zwar in der EU befindet, aber eher so einen antieuropäischen oder antidemokratischen Kurs fährt. Hier ist es so, dass wir es einfach leben.
Im kommenden Jahr werden wieder viel Klassen durchgemischt? Was bringt das für Schüler und Lehrer?
Zunächst einmal unglaublich viel Mühe. Der Prozess dauert zwei bis drei Monate unter Einbeziehung aller Beteiligten, auch der Schülerwünsche. Die Schüler haben sicher viele Sorgen, wer kommt mit mir, wo komme ich hin, was soll das? Wenn sich das gesetzt hat, ist es die große Chance für alle in neuen Konstellationen gemeinsam andere Sichtweisen zu entwickeln und nicht in festgefahrenen Bahnen und Schienen zu denken. Unsere Koordinatoren, Klassenleitung, speziell die Deutschlehrerinnen und Deutschlehrer wegen der Sprachfähigkeit haben mit dem schulpsychologischen Beratungsteam sehr viel Mühe reingesteckt. Das wird gut werden.
Herr zur Hausen, wir danken für das interessante Gespräch
Ina Laiadhi, Kati Niermann, Juni 2021
Infos
Deutsche Schule Barcelona
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