Bewusstseinsbildung, Gemeinschaft und Innovation
Inteview mit Xavier Jovés, Vorsitzender der Waldschutzvereine Katalonien, Asociación de defensa forestal (SADF, ADF)
Im Palau ferial in Manresa treffe ich Xavier Jovés im Büro der Mutterorganisation der ADF. Mein Blick fällt auf ein Plakat, das mir sofort gefällt: La ADF también es lila.
Wie sind die Waldschutzvereine, die ADF, entstanden?
In den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts gibt es unterschiedliche Probleme. Die Waldbesitzer sind weit von den städtischen Zentren entfernt. Sie haben meist keinen Strom in ihren Häusern. Also schließen sie sich in Vereinen zusammen, um zu erreichen, dass Strom bis zu ihnen gelegt wird. Fast gleichzeitig entsteht ein weiteres Problem: Waldbrände. Bis dahin ist das Phänomen Waldbrand fast unbekannt. Meistens können sie ihn allein löschen. Die Risiken sind geringer als jetzt.
In den 70er Jahren kommt es zu einer Serie von Großbränden in Katalonien. Diese Waldbesitzervereine merken, dass sie sie nicht mehr allein löschen können. So organisieren sie sich, um gegen die Waldbrände gemeinsam vorzugehen. Sie rüsten sich gegen das Feuer. Sie sind keine Feuerwehrmänner, aber sie kennen das Gelände und beginnen, das Material, das sie in der Landwirtschaft nutzen anzupassen, um es zur Brandbekämpfung einzusetzen. Es gibt die typischen Tankanhänger hinter dem Traktor, mit denen sie z.B. Dünger auf dem Feld verteilen. Damit verfügen sie bereits über ein Minimum an Material. Sie nutzen Funkstationen, benachrichtigen sich und gehen gemeinsam gegen Brände an.
Doch die Brände werden immer größer. Immer mehr Menschen schließen sich diesen Waldbesitzervereinigungen an. In Katalonien gibt es dann einen Wendepunkt: 1986 brennt der Montserrat von vier Seiten nieder. Damals hieß es: “Katalonien zittert, wenn Montserrat brennt. Alles darf brennen, aber Montserrat ist heilig.“ Ganz Katalonien mobilisiert sich. Ein intelligenter Politiker hatte eine gute Idee: Wenn es seit Jahren Gruppen gibt, die Brände löschen und das Gelände und die Straßen kennen, warum helfen wir ihnen nicht auf legalem Wege? Das Dekret vom Foc Verd sieht nun vor, dass jeder einen ADF gründen kann und die Generalitat ihn subventioniert. Perfekt! Die Vereine nennen sich ab sofort ADF und erhalten Geld für den Kauf von Fahrzeugen, weiteren Tanks oder Funkstationen. Seitdem werden überall im Land ADFs gegründet. In einem ADF müssen mindestens 20% Eigentümer vertreten sein, dazu Rathäuser und Freiwillige. Heute haben wir bereits 308 ADFs im ganzen Land. Junge Menschen schließen sich den ADF an, um Wälder oder Brunnen zu säubern, Straßen freizuräumen oder Wasserstellen zu errichten, an Schulen auszubilden. Und auch zur Bekämpfung von Waldbränden.
Sie haben mir gesagt, dass Sie in Brüssel waren.
Gestern habe ich in Brüssel unser Projekt vorgestellt, das in Europa einzigartig ist. Wir beteiligen uns an einem Projekt namens SIMRA. Sie wollen von uns lernen, wie wir den Waldbrandschutz organisieren, denn es ist ein reales, greifbares Projekt, kein theoretisches.
*SIMRA (Soziale Innovation in marginalisierten ländlichen Gebieten) ist ein Projekt, das durch das Forschungs- und Innovationsprogramm Horizont 2020 der Europäischen Union finanziert wird. Ziel von SIMRA ist es, das Verständnis für soziale Innovation und innovative Regierungsführung in der Land- und Forstwirtschaft und der ländlichen Entwicklung zu zeigen, wie diese gefördert werden können, insbesondere in marginalisierten ländlichen Gebieten in ganz Europa, wobei der Schwerpunkt auf dem Mittelmeerraum (einschließlich der Nicht-EU-Länder) liegt.
Stellt Sie die katalanische Forstpolitik zufrieden?
Nein. Das Grundproblem ist, dass der Wald weitgehend verlassen wurde. In Geschichtsbüchern lesen wir: Früher gab es in einem Bauernhaus im Wald zwei Schafherden, Holzfäller, die Holz an die Stadt verkauften oder Köhler. Dort arbeiteten 8-10 Personen und hielten den Wald sauber. Die Schafe fraßen alles runter. Deshalb waren die Brände klein. Die Brotbacköfen in der Stadt verbrauchten viel Holz. Zu Hause hatten wir auch einen Holzofen. Aber seit den 70er Jahren will jeder Gas und Öl als Energiequelle einsetzen. So geht die Arbeit mit Holz verloren, weil es immer weniger Verbrauch gibt. Deshalb ist unser Wald nicht mehr produktiv. Er ist praktisch aufgegeben. Die Menschen wollen nicht im Wald leben, weil er keine Annehmlichkeiten bietet. In den Wäldern gibt es also immer mehr altes Holz, mehr Nahrung für Feuer.
Ist der Wald in Katalonien in Privat- oder Staatsbesitz?
75-80% sind in Privatbesitz. Es gibt große und kleine Waldbesitzer, und sie lebten früher sehr gut davon, weil das Holz gut bezahlt wurde. Früher waren Telefon- und Strommasten aus Holz. Jetzt will niemand mehr Holz.
Der Waldbesitzer verkauft sein Haus an einen Mann aus Barcelona, der das Haus zu seinem eigenen Vergnügen kauft. Er legt ein Schwimmbad an und verbringt die Sonntage in der Natur. Aber dieser Herr versteht den Wald nicht. Er hat keine Zeit und will kein Geld ausgeben, um den Wald zu säubern, weil es sich nicht lohnt. Er kümmert sich nur um sein kleines Grundstück neben dem Pool. Er versteht nicht, wie der Wald funktioniert, weil es ihn nicht interessiert. Der Wald gerät also immer mehr also in Händen von Menschen, die ihn gar nicht kennen.
In Deutschland ist es Pflicht, den Wald zu säubern.
Nicht hier. Hier sind nur Wohnsiedlungen bei Waldflächen geregelt. Die Menschen kauften Waldland zu einem niedrigen Preis, weil niemand es wollte, sie begannen, Straßen und Grundstücke zu bauen. Das Problem ist nun, dass wir im Falle eines Brandes Häuser im Wald haben. Inzwischen ist es obligatorisch, leerstehende Grundstücke innerhalb der Siedlung zu reinigen. Andernfalls organisiert es die Gemeinde und stellt eine Rechnung. Und es muss auch ein 25 Meter breiter Schutzstreifen zwischen Siedlung und Wald angelegt werden.
Wie geht es unserem Wald?
Der Wald geht verloren, weil unsere ländliche Welt verloren geht. Es ist ein lebendiges Element. Wir verlieren die Waldkultur. Ein Waldbesitzer versteht, dass er eine Kiefer fällen muss, damit die jungen wachsen können. Das Konzept, das sie uns in der Schule beigebracht haben, nur Bäume zu pflanzen, ist ein Fehler. Man muss ausbalancieren, die Alten fällen, damit die Jungen Kraft bekommen.
Bilden Sie in Schulen zum Thema Waldschutz aus?
Sehr viel sogar. Wir organisieren viele Aktivitäten mit Kindern und Jugendlichen, damit sie verstehen, wie der Wald funktioniert: wie man ihn pflegt, dass man keinen Müll wegwerfen soll. Wir führen auch Selbstschutzkampagnen durch, damit die Menschen in diesen neuen Siedlungen verstehen, dass es nach hinten losgehen kann, wenn sie sich nicht um ihr Gebiet kümmern.
Wir bilden zudem unsere Freiwilligen aus. Sie erhalten zunächst das Carnet Verd. Wer neu ist, darf nicht sofort Brände löschen. Zunächst muss jeder die Grundlagen lernen. Sie dürfen uns bei der Prävention und Überwachung helfen. Nach einem Jahr mit einer grünen Karte können sie eine gelbe Karte machen, die es ihnen erlaubt, auch aktiv Brände zu stoppen.
Eine ständige Gefahr ist Brandstiftung.
Es ist jetzt viel weniger die Rede davon. Wir, die Forstbeamten, sind für die Untersuchung der Brandursache verantwortlich. Wir hatten schon viele schwere Brände, die durch alte oder schlecht installierte elektrische Kabel verursacht wurden, aber das wurde ziemlich gut behoben. Die Waldbrände sind sehr stark zurückgegangen. Verbranntes Land darf auch nicht bebaut werden.
Welche neuen technischen Methoden zum Schutz des Waldes gibt es?
In Katalonien gibt es innerhalb der Gruppe der Feuerwehrleute die GRAF (Grup de Recolzament d’Actuacions Forestals) eine Einsatztruppe, die auf Waldbrände und Prävention von Brandrisiken spezialisiert ist. Das Wissen über den Wald hat sich stark verändert. Wir haben eine neue Kartographie, Drohnen oder technisches Wissen über Feuer. Inzwischen werden auch wieder Gegenfeuer eingesetzt. Früher war das Löschen des Feuers mit Feuer völlig verboten. Experten haben erkannt, dass es in einigen Fällen die einzige Möglichkeit ist, einen Brand zu löschen. Nur sie dürfen es legen.
Mit neuen Erkenntnissen, wie z.B. Wind- und Temperaturanalysen, ist es möglich, besser vorherzusagen, wie sich der Brand entwickelt. Das bedeutet nicht, dass wir ihn sofort unter Kontrolle kriegen, aber das Wissen hilft uns sehr viel. Wir wissen, dass um 18 Uhr der hier typische Seewind (Marina) abflaut, und ein anderer sich erhebt. So wissen wir besser, wo wir handeln und angreifen müssen.
In Australien konnten die Brände nicht gestoppt werden…
Ich bin sicher, dass die Ursache im Klimawandel liegt. Die Temperaturen haben sich geändert. In Manresa schneite es jedes Jahr eine Handbreit. Aber seit einigen Jahren haben wir nichts mehr. Wenn es nicht schneit, gibt es kein Wasser im Wald. Die Temperaturen steigen. Sommer mit 40 Grad hat es nie gegeben. Nach Ansicht der Fachleute wird sich der Wald aufgrund des Klimawandels stark verändern. Der Wald der Pyrenäen, der es gewohnt ist, dass es jeden Tag regnet, wird aufgrund des Regenmangels immer trockener. Der Wald in unserem Gebiet wird höher in die Pyrenäen ziehen. Hier zu uns wird ein anderer Wald kommen, der sich an die Art des Klimas, das wir haben werden, anpassen muss.
Wie können Sie junge Menschen motivieren, dem ADF beizutreten?
Er lacht. Wir haben eine DNA in Katalonien, uns als Ehrenamtliche zusammenzutun. Wir haben Gesangsvereine und Ausflugsvereine gegründet, wir bauen Castellers oder lernen zusammen Esperanto. Das Thema “Ländlicher Raum und Wald” beschäftigt uns. Junge Menschen wollen nicht, dass der Wald brennt, weil sie wissen, dass er ihre Zukunft ist. Weil sie sehen, was jeder Einzelne tun kann, melden sie sich bei uns. Wir bieten Ausbildung, Ausrüstung und Gemeinschaft. Wir geben Kurse in Erster Hilfe oder lehren, mit den Autos in die Bergen zu fahren. Studenten übernehmen im Sommer die Überwachung in den Bergen. Die jungen Frauen und Männer verjüngen die ADFs. Als Gründer eines ADF vor etwa 40 Jahren freue ich mich sehr über all diese jungen Menschen.
Ein Deutscher, der sich hier niedergelassen hat, stellt sich auf der Feuerwache vor und sagt: – Ich will Ihnen helfen, was brauchen Sie? -Du meine Güte! Wir wollen alles. Wir müssen das Fahrzeug wechseln. Und der Mann hat das bezahlt! Er erklärte uns, dass in Deutschland Geschäftsleute und Privatpersonen den Feuerwehrleuten helfen. Wir waren sehr überrascht und zufrieden. Wir kennen das hier nicht. Als Freiwillige brauchen wir Sponsoren. Es gibt eine Menge Material, das weggeworfen wird, und wir könnten daraus einen Vorteil ziehen.
Im Wald gibt es jede Menge Freizeitaktivitäten: Wandern, Radfahren, Grillen… ist das gut für den Wald?
Das Problem ist, dass es sich um Menschen handelt, die nicht viel über den Wald wissen. Ich bin ein Pilzsammler. Aber wenn jemand mir folgt, wird er nicht sehen, dass ich durch den Wald gegangen bin. Ich hinterlasse kein Butterbrotpapier und keine Dosen. Die städtischen Menschen, die von außerhalb kommen, glauben, dass der Wald allen oder niemandem gehört. Sie kümmern sich nicht.
Haben Sie eine Anekdote?
In unseren Kursen erklären wir den Freiwilligen, wie die Funkstationen funktionieren. Hier in der Nähe auf einem Berg lebt eine 85-jährige Frau mit ihrer Familie. Alle sind Mitglieder des ADF, Vater, Mutter, Söhne, Töchter und Schwiegerkinder. Wenn alle das Haus verlassen, übernimmt sie die Station. Und in der Küche hat sie den Kochtopf mit einem Auge im Blick und mit dem anderen den Wald. Wenn sie etwas sieht, ruft sie per Funk den Nachbarn an. Es gibt keine Altersgrenze.
Wenn Sie in der nächsten Regierung zum Landwirtschaftsminister ernannt werden, welche Maßnahmen ergreifen Sie?
Er lacht. Bewusstseinsbildung, unbedingt!
Waldbewirtschaftung. Das ist leicht zu sagen, aber sehr schwer zu tun.
Selbstschutz.
Ich würde noch eine 4. Sache hinzufügen: Mehr Holz vermarkten. Ich war vor kurzem auf Mallorca. Die Abgrenzungen zu den Straßen sind aus Holz. Das hat mir gefallen. Es ist ein Wechsel des Chips. Wir müssen den Verkauf und die Produktion anregen. Wenn mehr verkauft wird, wird auch der Wald gereinigt, es gibt weniger Brände. Andernfalls wird der Wald aufgegeben.
Das Paradoxe ist, dass wir Brände besser löschen können. Aber es gibt immer mehr Holz für neue Brände, weil wir nicht genug Wald verbrennen.
Herr Joves, wir bedanken uns für das sehr interessante Gespräch.
Infos: https://sfadf.org/
Von Ina Laiadhi
Schlagwörter: Ausbildung, Interviews, Katalonien, Traditionen