Einstehen für Fairplay und Respekt
Interview mit Bibiana Steinhaus-Webb, die erste deutsche Schiedsrichterin im Männerprofifußball
Frau Steinhaus-Webb und ich treffen uns am Ende ihres Besuchs in Barcelona, wo sie auf Einladung des Generalkonsulats der Bundesrepublik Deutschland Neue-rungen bei verschiedenen Veranstaltungen, bei Konzeption und Planung der UEFA-EM 2024 betreffend Nachhaltigkeit und Klimaschutzmaßnahmen, Inklusion, Diversität und respektvollen Umgang mit den Menschenrechten erläuterte.
Wie sind Sie Schiedsrichterin geworden? Wer hat Ihnen auf Ihrem Weg dahin geholfen?
Als junge Frau habe ich ein paar Jahre selbst Fußball gespielt. Ich habe schnell erkannt, dass es nur mit mäßigem Erfolg war. Mein Vater ist Fußballschiedsrichter. Das hat mich inspiriert und ich bin in seine Fußstapfen getreten. Bei meinem ersten Schiedsrichterkurs war ich mit einer Kollegin ausschließlich von Männern umgeben. Leider gibt es immer noch nicht so viele Schiedsrichterinnen. Mit der aktuellen Attraktivität und der Sichtbarkeit des Frauenfußballs und Frauen im Fußball in allen möglichen Rollen ändert sich langsam etwas auch im Schiedsrichterwesen. Das ist ein Thema, das uns wirklich bewegt. Es kommt mir darauf an, den Fußball vielfältiger zu machen.
Und wir kriegen wir das hin?
Sie haben eben gefragt, wer mir geholfen hat. Ich bin durch meinen Vater in diese Schiedsrichterwelt gekommen. Ich habe gelernt, dass – wenn wir heute junge Mädchen und junge Frauen ansprechen, sich in dem Bereich zu engagieren, – sie dann ungerne allein sind, also umgeben von meist männlichen Kollegen. Wir bie-ten deshalb viele Schiedsrichterkurse für Frauen an, wo sie sich in ihrer Umgebung sicherer fühlen. Man muss Frauen ein bisschen anders ansprechen, um diverse-re Strukturen schaffen zu können.
Die Struktur in der Schiedsrichterwelt ist sehr männerdominiert. Was würden Sie ändern oder verbessern?
Ich würde mir wünschen, dass das, was wir auf unseren Tribünen wiederfinden, die Diversität, die wir in unseren Fußballstadien haben, also Menschen, die be-geistert Fußball schauen, dass wir die auch auf dem Feld wiederfinden. In unserer aktuellen Nationalmannschaft sind wir bunter aufgestellt als in der Vergangenheit. Ich würde mir wünschen, dass wir alle Generationen, alle Gesellschaftsschichten und alle Menschen, die in Deutschland leben, ansprechen, zu partizipieren. Das heißt, am sportlichen Ereignis teilzuhaben. Gerne in unterschiedlichen Rollen: aktiv oder in Unterstützungsfunktionen. Das wäre mir wichtig. Da kön-nen wir uns noch weiter öffnen.
Was verstehen Sie unter „bunter“?
In Deutschland haben viele Menschen eine Heimat gefunden, die aus unterschiedlichsten Ländern kommen. Sie verstehen sich als Deutsche, weil sie in Deutschland leben und dort ihre Heimat haben. Ein Zugang zur Nationalmannschaft muss da möglich sein. Deutschland ist bunt, es besteht aus unterschiedlichsten Menschen und das wollen wir auch in der Mannschaft sehen. Mit İlkay Gündoğan, Leroy Sané oder Niclas Füllkrug haben wir unterschiedlichste Menschen, die Deutschland repräsentieren. Das zeigt auch, wie Deutschland tickt. Und wenn wir bei bunter sind, dann wünsche ich mir, dass es allen Menschen möglich sein muss, nicht nur in Deutschland, sondern egal wo auf der Welt, auch so zu leben, wie sie es wünschen und für richtig hal-ten. Auch dafür sollte der Sport einstehen.
Was macht eine gute Schiedsrichterin oder einen guten Schiedsrichter aus?
Ihr Handwerkszeug zu kennen, also die Regeln zu wissen. Entscheidungsfreude. Und ein Gefühl für Menschen zu haben, ein guter Kommunikator zu sein.
Haben Sie jemals während eines Spiels eine Entscheidung getroffen, die Sie be-reut haben?
Ja, das ist mir tatsächlich schon passiert. Ich habe auch schon mal eine Entscheidung zurückgenommen, auf dem Feld, also während der 90 Minuten. Ich glaube, es zeugt von Größe, wenn man einen Fehler eingesteht.
Hat die vermehrte Ankunft von Frauen in der Schiedsrichterwelt zu etwas Neuem geführt? Hat sich etwas positiv verändert?
Es hat zu einem positiveren Umgang, einem respektvolleren Umgang miteinander geführt. Das sagen die Spieler. Ich werde immer gefragt: Benehmen sich Spieler anders? Das kann ich nicht beantworten, aber wenn man die Spieler fragt, dann sagen sie: „Ja, wir benehmen uns anders, weil wir den männlichen Kollegen anders als einer Frau in Verantwortung auf dem Feld begegnen.“ Ich darf behaup-ten, dass die Schimpfwörter sich schmaler aufstellen.
Sie sind zu Besuch in Spanien, dessen Frauenmannschaft die Frauen-WM 2023 gewonnen hat. Wie ist die Situation des Frauenfußballs in Deutschland?
Spanien ist seit jeher ein Fußball-begeistertes Land. Und ein sehr erfolgreiches! Im Männerbereich und im Frauen-bereich. Der Frauenfußball in Spanien ist unfassbar gewachsen. Barcelona hält den Zuschauerrekord weltweit: 91.000! Phantastisch! Und diese Begeisterung für den Sport, aber auch für Mädchen- und Frau-enfußball ist etwas Besonderes. Die spanische Leidenschaft trägt das sehr. In Deutschland haben wir auch eine sehr erfolgreiche Frauennationalmannschaft, auch wenn sie nicht so weit gekommen ist wie die spanische, die den Titel geholt hat. Die deutschen Frauen spielen auch bei Olympia im Sommer in Paris. Im Juni sind die Männer hoffentlich sehr erfolgreich bei der Europameisterschaft im eigenen Land.
Die Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland war mit so einer Begeisterung und einer Freundlichkeit im Land verbunden. Es war eine wunderbare Willkommensatmosphäre. Wir hoffen natürlich, dass wir das auch 2024 entsprechend reflektieren können und wieder gute Gastgeber sein werden.
Halten Sie es für möglich, dass wir in Deutschland ein zweites 2006 bekom-men?
Ich glaube, wir möchten gar kein zweites 2006. 2024 steht für sich selbst, weil die Herausforderungen 2024 anders sind als 2006. Der offizielle Slogan ist „Vereint im Herzen von Europa“ und das beschreibt es eigentlich auch. Wo stehen wir als Deutschland in Europa? Wo steht Europa? Und wie schafft es der Sport, Europa und seine Länder auch wieder ein Stück näher zusammenzubringen?
Sie pfeifen ein Spiel an, Sie pfeifen ein Spiel ab. Welches ist der wichtigere Mo-ment für Sie?
Das ist eine gute Frage. Ich habe schon viele Fragen gehört, aber diese war noch nicht dabei. Es sind definitiv unterschied-liche Emotionslagen, in denen ich mich da befinde. Wenn ich anpfeife, dann freue ich mich auf die 90 Minuten. Ich bin ge-spannt, was kommt, wie ich mit Situatio-nen umgehe und wie ich darauf reagiere. Und dann nach 90 Minuten kann ich zumindest zurückblicken und mit mir ins Gericht gehen. Würde ich es wieder so machen? Würde ich es anders machen? Es ist wie ein rollender Prozess von Anpfiff zu Abpfiff. Von Abpfiff zu Anpfiff.
Die Zuschauer in den Stadien bleiben ein Problem. Sind Sie schon mal ausgepfiffen worden?
So häufig, dass ich es gar nicht zählen kann. Fußballschiedsrichter treffen Entscheidungen, und da sind 50% dafür und 50% dagegen. Auf diese Größe kann ich mich einlassen oder vorbereiten. Ich weiß, dass jeder Mensch, der bereit ist, in Entscheidungspositionen zu treten und Entscheidungen zu treffen, egal ob es Politiker oder Fußballschiedsrichter sind, ob es Mütter und Väter sind, die ihren Kindern Grenzen aufzeigen, jeder Mensch, der bereit ist, Entscheidungen zu treffen und zu kommunizieren, dafür nicht nur Begeisterung erhalten wird.
Sie sind in Spanien im Land des Fußballs. Hatten Sie Gelegenheit, auch mit spanischen Kollegen Kontakt aufzunehmen?
Meine spanischen Schiedsrichterkollegen sehe ich tatsächlich auch außerhalb von Spanien. Aber wir hatten heute die Gelegenheit, dass wir beim FC-Barcelona vorbeigeschaut haben und dort gesehen haben, wie die Rahmenbedingungen sind, wie sie trainieren. Wie sich spanische Fußballer auf die Europameisterschaft vorbereiten. Das war sehr aufregend.
Der Sport soll hohe Werte wie Fairplay und Teamgeist vermitteln. Er ist aber durch Skandale und Korruption gebeutelt. Was macht das mit dem Sport?
Respektvoller Umgang ist immer wichtig. Im alltäglichen Zusammensein wie auch im Sport. Wie sagt man: Geld verdirbt den Charakter? Ich glaube, wir müssen da sehr bei unseren Werten bleiben. Was ist uns wichtig? Und wofür stehen wir? Oder wofür möchten wir stehen? Für mich als Schiedsrichterin ist es besonders wichtig, für Fairplay und Respekt einzustehen.
Haben Sie eine Anekdote vom Spielplatz für uns?
Keine wirkliche Anekdote, aber es gibt etwas, worauf ich mich besonders freue. Das Eröffnungsspiel der Europameisterschaft wird in München in der Allianz-Arena stattfinden, wo Deutschland gegen Schottland spielt. Ich durfte mein allerletztes Spiel als aktive Schiedsrichterin in der Allianz-Arena leiten. Für mich wird es einen emotionalen Übergang geben, die Euro dort entsprechend aufkicken zu sehen.
Verraten Sie uns Ihre Lieblingsmannschaft?
Die Schiedsrichter.
Die Schiedsrichter?
Ich kann da schwer aus meiner Haut. Ich kenne die Schiedsrichter, ich weiß, wie schwierig es ist, dort aktiv zu sein. Für mich steht immer blau gegen gelb, rot gegen grün. Ich fiebere jedoch mit den Schiedsrichtern.
Vielen Dank, dass Sie Zeit für das Ge-spräch gefunden haben.
Ina Laiadhi, April 2024
Zur Person:
Bibiana Steinhaus-Webb war als deut-sche FIFA-Schiedsrichterin tätig, die als erste Spiele im deutschen Männer-Profifußball leitete. Ihre Karriere starte-te sie 2007 in der 2. Bundesliga. Sie wurde sechsmal »Schiedsrichterin des Jahres«, vertrat mehrfach Deutschland bei der WM und der EM der Frauen. 2021 beendete sie ihre Karriere als Schiedsrichterin in der Allianz-Arena in München. Sie war lange auch als Vi-deoschiedsrichterin in der Bundesliga tätig. Zurzeit arbeitet sie in England bei der Schiedsrichtervereinigung PGMOL.
Infos
https://www.uefa.com/euro2024/
“United by Football. Vereint im Herzen Europas” der Slogan der EURO 2024, ausgetragen in 10 Städten mit jeweils adaptiertem Logo.
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