Friede, Freude, Europa?
Nach zwei verheerenden Weltkriegen wollten die Väter (und sicher auch Mütter) des europäischen Aufbauwerks neue Kriege zwischen den europäischen Staaten gezielt vermeiden.
Die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) führte ab 1951 zur Zusammenarbeit in Industriezweigen, die früher einen Großteil der Macht der einzelnen Staaten begründete und deren Kriegsmaschinerie befeuerte. Die NATO sicherte ab 1949 die militärische Zusammenarbeit von weitaus mehr Staaten, was in den heißen Zeiten des Kalten Kriegs entscheidend war. Deutschland trat dem Atlantischen Bündnis 1955 bei.
Seitdem hat sich viel getan, mit dem Vertrag von Maastricht (1993) wurde die Europäische Union zu dem, was sie heute ist: eine politische Union. Der Vertrag brachte wichtige Beschlüsse wie die Einführung der Unionsbürgerschaft (zusätzlich zur jeweiligen Staatsangehörigkeit), Weichenstellungen für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik sowie die Zusammenarbeit in der Justiz- und Innenpolitik. 12 EU-Mitgliedstaaten waren es damals – noch vor dem EU-Beitritt Finnlands, Österreichs und Schwedens (1995) – die diesen wichtigen Meilenstein der europäischen Einigung erreichten.
Krieg in Europa trotz EU
Die jugoslawischen Nachfolgekriege (1991-2001) fallen in die Zeit des Maastricht-Meilensteins. Krieg in Europa, vor der Haustür, aber nicht in einem EU-Land. Faktisch richtig, aber die Distanz zum Kriegsgeschehen empfanden viele als enttäuschend. Slowenien und Kroatien sind mittlerweile EU-Mitgliedstaaten, die EU-Erweiterung im Westbalkan läuft allerdings schleppend.
Seit 2014 ist wieder Krieg in Europa. Spätestens ab 2022 ist der russische Angriff auf die Ukraine den meisten ein Begriff. Was früher Kohle und Stahl war, ist heute Titan, Eisen, Lithium (und auch Kohle): im Donbass liegt eines der größten Mineral-vorkommen Europas. Die EU hilft der Ukraine, wo und wie es geht, zusammen mit weiteren NATO-Verbündeten. Die baltischen Staaten, Polen und auch Finnland werden aus eigener Erfahrung nicht müde, vor Angriffen auf weitere Staaten zu warnen. Was wäre wenn? In der Ukraine ist dieser Fall längst eingetreten. Seit den frühen 1990er Jahren hat sich die Welt verändert, von Russland über den Iran bis China. Zeit für die EU, sich sicherheitstechnisch besser zu wappnen.
Die Europawahl und alle anderen freien Wahlen in der EU sind eine Inspiration für die, die nicht frei wählen können, und deshalb eine latente Bedrohung für alle autoritären Regimes.
Anfang Juni 2024 können Millionen Wahlberechtigte ihre Stimme bei der 10. Europawahl abgeben. Das ist eine Erfolgsgeschichte, denn das Europäische Parlament ist die einzige direkt gewählte transnationale Versammlung der Welt mit Abgeordneten aus 27 souveränen Staaten.
Die EU hat mittlerweile 27 Mitgliedstaaten mit 448 Millionen Unionsbürgerinnen und -bürgern, die einen der höchsten Lebensstandards weltweit genießen, bei Achtung der Menschenrechte auf einem der höchsten Niveaus. Vielleicht können wir das in den nächsten Jahren mit etwas mehr Dankbarkeit genießen.
Von Kolja Bienert, Mai 2024
Schlagwörter: Europa, Moderne Welt