Breaking news: Thomas Mann hatte eine Mutter!

Julia Mann, geb. da Silva-Bruhns, wurde in Brasilien geboren-
Dossier Besondere Tage
Sogar im Jubiläumsjahr 2025, in dem Thomas Manns 150. Geburtstag gefeiert wird, hört man so gut wie nie etwas von ihr. Julia da Silva-Bruhns war Deutsch-Brasilianerin, Mutter der fünf Mann-Geschwister (darunter Heinrich und Thomas) und Vorbild mehrerer literarischer Figuren in den Romanen ihrer berühmten Söhne.
Wer war diese Frau und warum ist sie so unbekannt? Julia war die Tochter des 1840 nach Brasilien ausgewanderten Lübe-ckers Johann Ludwig Hermann Bruhns, der dort zu einem erfolgreichen Kaffee- und Zuckerrohrhändler aufstieg, und Maria da Silva, Tochter eines Großgrundbesitzers mit portugiesischer Migrationsgeschichte, die er dort 1847 heiratete.
Julia kam 1851 als viertes Kind ihrer Eltern in der Nähe von Paraty im Urwald zur Welt, mitten im Umzug von einer Finca zur anderen. Vielen, auch ihr selbst, diente diese Tatsache als Erklärung für ihr „schmetterlingshaftes“ Wohnverhalten in höherem Alter.
Nach dem Tod seiner Frau im Wochenbett des sechsten Kindes brachte der Vater 1858 seine Kinder mit dem Schiff nach Lübeck, wo sie in Pensionaten erzogen wurden und die Schule besuchten. Die 7-jährige Julia musste umgehend Deutsch, Französisch, Englisch und Lübecker Platt lernen und, wie ihre Geschwister auch, zum in Lübeck vorherrschenden protestantischen Glauben übertreten. Sie fand zwar eine mütterliche Erzieherin, vermisste ihre „Mai“ aber natürlich trotzdem sehr. Ihr Vater und ihre Kinderfrau kehrten noch im gleichen Jahr nach Brasilien zurück.
Nach der Konfirmation mit 16 Jahren zog Julia zu Verwandten ihres Vaters und wurde von diesen in die Lübecker Gesell-schaft eingeführt. So lernte sie Thomas Johann Heinrich Mann kennen, Sohn eines Kaufmanns und später Senator der Stadt auf Lebenszeit. Sie heirateten 1869 und bekamen drei Söhne und zwei Töchter: Heinrich, Thomas, Julia, Carla, Viktor. Ein Jahr nach der Geburt des letzten Kindes starb der Senator 1891 im Alter von nur 51 Jahren.
In seinem Testament hatte der Senator den Verkauf seiner Firma angeordnet. Von den Zinsen des erzielten Verkaufspreises konnte die Witwe mit den Kindern gut auskommen. 1893 zog Julia mit vier Kindern nach München, wo sie sich ein wärmeres Klima erhoffte. Thomas Mann folgte ein Jahr später nach Beendigung der Schulzeit.
Bis zu ihrem Tod 1923 wechselte Julia zwischen mehreren Wohnungen in München, Schwabing, Polling, Augsburg und Weßling so oft, dass die Biographen nicht alle Umzüge nachvollziehen konnten. Dabei lebte sie ab 1901 allein mit ihrem jüngsten Sohn Viktor, weil die größeren Geschwister nach und nach geheiratet hatten (Julia, Thomas) oder aus anderen Gründen weggezogen waren (Heinrich, Carla).
Sie gab Viktor zeitweise in eine Augsburger Schule mit Internat, zog aber selbst auch in diese Stadt, was darauf schließen lässt, dass sie sich mit der Erziehung überfordert fühlte. Immer wieder versuchte sie, zwischen den schriftstellernden Brü-dern Heinrich und Thomas zu vermitteln, die politisch und literarisch sehr unterschiedliche Ansichten vertraten und sich ihre Erfolge neideten. Julia war aber auch selbst schriftstellerisch tätig. Ihre Werke, u.a. Erinnerungen an Dodos Kindheit (Beschreibung ihrer eigenen Kindheit in Brasilien), erschienen aber erst 1958 und 1991, als der jüngste Sohn Viktor sie zum Abdruck vorbereitete. Außerdem war sie musikalisch sehr begabt und überhaupt ein kreativer „Kopf“, wie man aus ihren Aufzeichnungen entnehmen kann.
Leider hat sie die Verleihung des Nobelpreises an Thomas Mann 1929 nicht mehr erlebt. Dafür blieben ihr die Sorgen we-gen der Flucht ihrer Kinder und Enkel ins Exil ab 1933 erspart. Den Suizid ihrer Tochter Carla aus Liebeskummer 1910 konnte sie nicht verhindern.
Von Katharina Städtler, August 2025
Literatur
Julia Mann, Ich spreche so gern mit meinen Kindern, hg. von Rosemarie Eggert, Aufbau-Verlag Berlin 1991.
Julia Mann. Brasilien – Lübeck – München, Dräger-Verlag Lübeck 1999.
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