Can Batlló
Eine Textilfabrik – zwei Familien – ein alternativer Industriepark
Auf der Gran Vía de les Corts Catalanes spiegeln sich die Baureste der ehemaligen Textilfabrik Can Batlló eindrucksvoll in der blauen Glasfensterfassade der Campana wider, in dem das Verkehrsamt und das Handelsregister Barcelona amtliche Formalitäten regeln. Ein groẞes, mittlerweile freistehendes Fabriktor eröffnet den Blick auf den 35 m hohen Fabrikschlot und die CantinaLab, die auf ihrer Terrasse zu „Speis und Trank“ einlädt. Rundherum herrscht lebhaftes Treiben.
Die Umwandlung der großen Textilfabrik Can Batlló in einen selbstverwalteten Industriepark steht beispielhaft für die Geschichte einer Epoche, in der Barcelona durch die im 19. Jahrhundert florierende Textilindustrie und den regen Überseehandel zur reichen Handelsmetropole und zum zweitgröẞen Mittelmeerhafen Europas emporstieg.
Als 1852 noch kleine Ladenbesitzer und Bauern das 6.644 Einwohner zählende Stadtviertel La Bordeta in Sants bevölkerten, lieẞen sich 1860 die ersten Fabriken im Groẞraum Barcelona nieder.
Im Jahr 1878 kaufte Joan Batlló Barreras, einer von vier Brüdern der Baumwollfabrikanten „Batlló Hermanos“, acht Hektar bewässertes Ackerland mit dem Landhaus Can Mangala. Der Canal de la Infanta versorgte die Gegend mit ausreichenden Wassermengen. Hier fand Joan Batlló den idealen Platz für die Errichtung seiner vom Ingenieur Juan Antonio Molinera entworfenen neuen Textilfabrik. 1890, zehn Jahre nach ihrer Inbetriebnahme, produzierten in der größten Fabrik von La Bordeta etwa tausend Fabrikarbeiter*innen Baumwollartikel. Bis 1964 waren in Can Batlló 80 % der Beschäftigten ledige Frauen.
Zwei Familien beherrschten Can Batlló. Der Gründer und seine Nachkommen brachten der Fabrik Reputation und Reichtum, während die späteren Eigentümer aus der Familie Muñoz Ramonet ihren Untergang besiegelten.
Familie Batlló, eine typische katalanische Industriellen-Familie, übte politischen Einfluss in Barcelona aus und investierte einen Teil ihrer Gewinne in die Konstruktion oder Renovierung von Gebäuden, welche von den bekanntesten Architekten der katalanischen Moderne konzipiert waren. So engagierte 1905 ein anderer Spross der Familie, Josep Batlló Casanovas, den Architekten Antoni Gaudí, um sein am Passeig de Gràcia gelegenes Anwesen Casa Batlló neu zu gestalten.
Die Fabrik in La Bordeta entwickelte sich zu einem der wichtigsten Textilbetriebe Kataloniens: ein kleines, von Straßen durchzogenes Dorf mit Fabrikhallen, einer Kapelle, einem Sportplatz, einem Elektrizitätswerk und besagtem hohen Fabrikschlot aus rotem Backstein. Joan Batlló blieb unverheiratet und widmete sich mit ganzer Kraft seinen Fabriken und Auslandsreisen. Aus Argentinien, Alexandria und Izmir bezog er Materialien für seine Baumwollproduktion, die unter seiner Führung erblühte. Als er 1892 verstarb, übernahmen die Söhne seines Bruders Domenec, Romá und Domenec, die Fabrikleitung und reduzierten die Belegschaft auf 800 Beschäftigte. Während des Spanischen Bürgerkrieges diente einer der Fabrikblöcke der Waffenproduktion.
Die zweiten Fabrikbesitzer, Familie Muñoz Ramonet, profitierten von den durch Hunger und Elend geprägten Nachkriegszeiten des Spanischen Bürgerkriegs und der nachfolgenden Diktatur. Die Eigentümer von Banken, des Hotels Ritz, des Warenhauses El Siglo, und dem Palau Robert, erwarben Can Batlló 1943 und integrierten die Fabrik in ihre Gruppe Unión Textil Industrial (UNITESA). Zunächst wurden die Hallen zur Herstellung von synthetischen Fasern erweitert. 1964 jedoch wurde die Textilproduktion endgültig eingestellt und Can Batlló in 700 einzelne Werkstätten zergliedert. Nach der Aufnahme der Fabrik 1976 in den Pla General Metropolità Barcelonas sollte das Areal in Grünzonen und Werkanlagen umwandelt werden. Der hoch verschuldete Julio Muñoz floh später ins Ausland und hinterließ in Barcelona ein von Exzessen und Zurschaustellung gezeichnetes Erbe.
Während der Immobilienblase der 1990er Jahre sollten die Werkstätten den Investitionsprojekten der Eigentümer weichen, um mit dem Bau von 1.433 Wohnungen der Immobilienfirma Gaudir (LLES) den höchstmöglichen Gewinn aus dem Areal zu erzielen. Verhandlungen wurden mit der Stadtverwaltung, der Generalitat, dem Consorcio de la Zona Franca und den ansässigen Kleinbetrieben aufgenommen.
1999 gründeten die 213 Kleinfirmen die Associació d’Industrials de Can Batlló. Josep-Ramon Bach, Arbeiter eines dieser Kleinbetriebe und Schriftsteller, bat 2002 in einem Schreiben an den damaligen Präsidenten der Generalitat Artur Mas um Unterstützung für die Erhaltung der Betriebe.
Die Bürgerdemonstration vom 17. April 2002 vor dem Parlament Kataloniens und der enorme Druck der Plattform und der Bürgerinitiative des Stadtviertels La Bordeta auf die Eigentümer und das Ajuntament von Barcelona bewirkten am 11. Juni 2011 die Abtretung des Blocks 11 von Can Batlló an die Plattform für ihre Sozialprojekte. Dies war der Auftakt zu einer schrittweisen Rehabilitierung und Umwandlung von Can Batlló in ein selbstverwaltetes soziales Netzwerk, in dem alternative Ideen verwirklicht werden. Es entstanden die Biblio-teca Pública Josep Pons, seit 2012 auch ein Leseclub -, ein Auditorium, eine kollektive Druckerei und etliche andere Nachbarschaftsfreiräume. Seit 2013 arbeitet die Plattform daran, die Fabrikmauer teilweise abreiẞen zu lassen, um Platz für die geplanten Grünflächen zu schaffen.
Die Bar Can Batlló, früher Treffpunkt der Fabrikarbeiter und Betriebsleute zum täglichen Kontaktaustausch innerhalb des Gewerbegebietes, wurde am 17. April 2009 nach einer vor-übergehenden Schlieẞung im Bloque Once (Block 11) neu eröffnet. Spaziergänger können dort einen Kaffee oder ein Bier inmitten des Viertels genieẞen.
Zwischenzeitlich hat die kollektive Selbstverwaltung des Blocks 11 ihren Einflussbereich erweitert und weitere Familien- und Sozialprojekte eingerichtet wie eine Schreinerei, ein Kunstatelier, Theater- und Kunstprojektgruppen. In den Tallers werden Aktivitäten wie Tanzen, Tai Chi, Keramik, Yoga, Kochen oder Flamenco (Sevillanes) angeboten.
Vieles hat sich inzwischen in Can Batlló gewandelt. 2019 wurde nach der Renovierung der an der Gran Via gelegenen Fabrikhalle die Escola de Mitjans Audiovisuals des Ajuntament de Barcelona eingeweiht. Verschiedene Fabrikhallen werden aktuell entkernt, um weitere soziale Einrichtungen entstehen zu lassen. Durch die Kombination von Industriehallen, Stra-ẞenzügen, alternativem Wohn- und Arbeitsraum ist ein äuẞerst attraktiver kreativer Industriepark entstanden, der das Viertel mit jedem Jahr um ein Vielfaches liebens- und lebenswerter macht.
Quellen: Teixint una Història Col.lectiva -Inventari de Can Battló – Secretariat d’Entitats de Sants, Hostafrancs i la Bordeta, Barcelona, 2013, sowie https://canbatllo.org/can-batllo/
Von Dr. Evelyn Patz Sievers, April 2022
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