Fühlt sich irgendwie heißer an

Der Windchill-Effekt funkioniert am Strand nur bedingt, Foto: laiadina
Häufig werde ich im Sommer gefragt, ob wir hier im Süden denn schon über 40°C hätten. Die Antwort löst meistens Enttäuschung aus. In und um Barcelona wird es selten so heiß. Der Mittelwert in unseren Spit-zenmonaten Juli und August liegt sogar bei unter 30°C. Die Replik kommt prompt: 30 Grad haben wir in Deutschland auch.
Ja. Aber!!! Hier fühlt es sich heißer an.
Bevor Sie an Ihrem Gefühl zweifeln, Ihr Körper trügt Sie nicht, wenn er unter der Belastung durch die Wärme ächzt. Die ge-fühlte Temperatur als physikalisches Phänomen wurde 1979 zum ersten Mal von Robert G. Steadman an einer texanischen Universität beschrieben. So wie sich die klimatischen Bedin-gungen auf der Welt entwickeln, wird dieser Mann sicher dem-nächst einen Wikipedia-Eintrag bekommen. Er fand heraus, dass die Luftfeuchtigkeit einen großen Einfluss auf das mensch-liche Temperaturempfinden hat: die gefühlte Temperatur.
Bis dato dachte ich, dass der Wetterdienst „random“ 100 Men-schen täglich befragt, wie sich das Wetter draußen anfühlt. So wie wir früher kurz das Fenster aufgemacht haben, um zu schauen, welche Jacke wir anziehen.
Weit gefehlt, mit Kühlungsgrenztemperatur und Feuchtkugeltemperatur wurde die Verdunstungskühlung als neuer Parameter in die Wetterbewertung mit eingebracht. Temperatur und Luftfeuchtegrad werden seitdem in Amerika zum Hitzeindex kombiniert. Nach diesem Index befinden wir uns mit einer permanenten Luftfeuchtigkeit zwischen 70 und 80% bereits ab 29 Grad im gefährdeten Bereich für Erschöpfungserscheinungen, ab 32°C kann es zu Hitzeschäden wie Sonnenstich oder Hitzekollaps kommen. Ab 35 Grad sind Hitzschlag und Sonnen-stich wahrscheinlich, wenn man sich länger Zeit ungeschützt im Freien aufhält.
Der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) hat ein Blatt zur „hu-man-biometeorologischen Bewertung der thermischen Kom-ponente des Klimas“ herausgebracht, das auch noch andere Komponenten, wie Strahlungsintensität und Windgeschwindig-keit berücksichtigt. Der Deutsche Wetterdienst nennt es das Klima-Michel-Modell, wobei Michel ein (attraktiver?) junger Mann um die 35 Jahre mit einer Statur von 1,75m und 75kg Körpergewicht ist. Er ist dem Wetter entsprechend angezogen und bewegt sich spazierend durch den Raum. Eine komplizierte Funktion unter Berücksichtigung aller Wetterkomponenten beschreibt anhand dieses Standardmenschen, welche Tempera-tur in einer Standardumgebung herrschen müsste, um dasselbe Temperaturempfinden auszulösen. Das ist dann unsere gefühlte Temperatur. Sie hat den Siegeszug in die WetterApps angetre-ten, und mittlerweile erhalten wir auch Unwetterwarnungen, wenn die gefühlte Temperatur einem erhöhten Risiko ent-spricht. Dann müssen bestimmte Arbeiten wie Dachdecken, Fensterputzen oder Straßen asphaltieren ausgesetzt werden, aber auch Freizeitbeschäftigungen wie Joggen, Bergwandern, Fußball oder Tennis sollten dann in die frühen Morgen- oder späten Abendstunden verlegt werden.
Wir leben in einem Gebiet, das durch die Nähe zum Mittelmeer viele Wärme stressauslösende Komponenten zusammenführt. Hohe Temperaturen, hohe Sonneneinstrahlung und hohe Luftfeuchtigkeit. Wir haben zwar auch den Küstenwind, doch der sogenannte Windchill-Effekt, die Kühlung, die erzielt wird, wenn Wind über eine Oberfläche streicht, tendiert bei hohen Temperaturen gegen 0. Bei 30°C Außentemperatur hat auch ein Ventilator keinen kühlenden Effekt mehr.
Drei unserer vier körpereigenen Temperaturregelungsmecha-mismen sind außer Kraft: Konduktion – in Kontakt mit Objek-ten –, Konvektion – in Kontakt mit Luft – und Radiation – Ab-strahlung, die unseren Körper normalerweise im Gleichgewicht halten, versagen. Denn die Umgebungstemperatur ist zu heiß, die konzentrierte Sonneneinstrahlung bleibt wochenlang auf hohem Niveau und alle Objekte von Straßen über Gebäude bis zum Couchtisch und die Wäsche im Schrank nehmen die Tem-peratur auf und geben sie an uns ab. Wenn es dann nicht ein-mal nachts kühler wird, bleibt uns nur die Transpiration. Und diese ist eingeschränkt durch die hohe Luftfeuchtigkeit.
Und das fühlt sich eben irgendwie heißer an.
Von Kati Niermann, August 2025
Schlagwörter: Umwelt