Touristen über Touristen –
Gedanken zum Overtourism in Barcelona
Früher war alles besser… gilt nicht immer, aber der Besuch Barcelonas vor zwanzig Jahren war es tatsächlich, denn der Massentourismus hatte die Stadt längst noch nicht so im Griff wie heute.
Als 1999 die ersten Billigflieger der Fluggesellschaft Ryanair von Frankfurt Hahn nach Girona nebst Shuttlebus nach Barcelona starteten, fand ich das noch großartig. Endlich billiger reisen! Das war natürlich wieder einmal zu kurz gedacht. Mittlerweile bestaunt man ungläubig am Strand von Gavà stehend die im Minutentakt landenden Billigjets aus aller Herren Länder am Aeropuerto von El Prat. Von den zahlreichen Kreuzfahrtschiffen, die ganzjährig den Hafen Barcelonas ansteuern und Tausende Touristen in die Innenstadt spülen, will ich gar nicht erst reden.
Die negativen Seiten dieses Overtou-rism sind hinlänglich bekannt. Überfüllte Straßen, Plätze und öffentliche Ver-kehrsmittel, steigende Mieten und Ver-drängung der angestammten Wohnbevölkerung unter anderem auch durch die lukrative Kurzzeitvermietung an Touristen. Natürlich steigen die Preise im Allgemeinen und erhöhen die Le-benshaltungskosten der Einheimischen nicht unerheblich. Viele von Ihnen fühlen sich zunehmend fremd in der eige-nen Stadt. Eine nicht zu unterschätzen-de Umweltbelastung durch Müll, Lärm, hohen Wasserverbrauch, um nur einige Aspekte zu nennen, ergänzen die Negativliste. Klar, die Maximierung des ökonomischen Profits ist nicht zum Nulltarif zu haben.
Und dann… allein in der Kathedrale, keine Warteschlange am Park Güell, einsame Gassen im Barrio Gotico, stark begrenzte Personenzahl in der Casa Mila – kein Traum, sondern vielleicht die erfreulichste Erfahrung in Zeiten der Pandemie.
Nur dass nun quasi postpandemisch das Reisefieber so sehr nach oben ge-schnellt ist, dass die Zahl der Reisenden das Niveau vor der Pandemie noch übertrifft.
Aber ist es überhaupt gerechtfertigt sich über „die Touristen“ aufzuregen?
Sind wir selbst denn anders? Wollen wir nicht auch noch möglichst viele der „1000 Things to do before you die“ abarbeiten? Ganz im Sinne des Credos: Investiere in Erlebnisse, nicht in materi-elle Dinge und das geht doch wohl am besten auf Urlaubsreisen?
Damit nähern wir uns der Frage nach der Psychologie des Reisens. Vielleicht dient das Reisen zunehmend als Ersatz für ein Lebenssinn-Vakuum. Je mehr Highlights man ansteuert, je mehr Bilder man auf Instagram teilt, umso reichhaltiger wird vermeintlich unser Leben. Aber was ist das denn für ein Erlebnis, wenn man zu Hunderten in der Schlan-ge vor der Sagrada Familia steht, sich im Gedränge und mit Platzangst über die Rambla schiebt, vergeblich seine Hände über den Kopf streckt, um ein Foto von der Casa Batllo zu ergattern?
Eigentlich bleibt da ein schaler Beige-schmack zurück und nicht das bedeutungsvolle Erleben, was wir uns ge-wünscht haben. Vielleicht sollten wir versuchen, uns genauer zu fragen, wel-che Ziele uns wahrhaftig interessieren und dann einfach länger an diesem Ort bleiben und tiefer eintauchen, um eine nachhaltige und bleibende schöne Er-fahrung zu leben.
Ja, man muss vielleicht vieles doch nicht gesehen haben… aber die Sagrada Familia sollte schon dabei sein.
Von Uta Illing, November 2023
Infos
Casa Batlló, Angebote für Residente
https://www.casabatllo.es/
Sagrada Familia
https://sagradafamilia.org/
Schlagwörter: Barcelona, Katalonien, Moderne Welt