30 Jahre deutsche Einheit
Pinypon und Peseten für die DDR
Der in Barcelona geborene Schauspieler Daniel Brühl ist in Köln aufgewachsen und erreichte mit seiner Hauptrolle im Film Good Bye Lenin (2003) internationale Bekanntheit. Der Kassenschlager verschaffte vielen einen kurzen Einblick in eine filmisch überspitzte DDR-Welt, die es bereits seit 13 Jahren nicht mehr gab. Die große Mehrheit der westdeutschen Bevölkerung hatte das Alltagsleben jenseits der deutsch-deutschen Grenze wohl nie mit eigenen Augen gesehen. In den Folgejahren haben vereinzelte TV-Momente, nüchterne Geschichtsdokus oder die Serie „Weissensee“ für etwas mehr Aufklärung gesorgt
Im Osten viel Neues
Der DDR-Staat wurde abgewickelt und das Alltagsleben in den damals neuen Bundesländern änderte sich so schnell, als wären die Ostdeutschen über Nacht ins Ausland gezogen: Die Produkte in den Supermärkten, die D-Mark, Schulbücher, etc. Und auch die Menschen waren teilweise weg. Bis circa 2017 wanderten mehr Bürger/-innen in die alten Bundesländer ab -geschätzt 1,7 Millionen- als die neuen Boomstädte Berlin, Leipzig und Dresden an Zuzug verbuchten. Ein Streifzug durch die statistischen Landkarten (s. Link unten) zeigt, wieviel sich verändert hat und was geblieben ist.
In meinen ersten zehn Lebensjahren (Jahrgang 1979) haben meine Geschwister und ich die DDR auf Familienbesuchen im Grenzgebiet an der Elbe selbst erlebt. Vom Dorf in Nord(west)deutschland ging es über den Grenzübergang Helmstedt/Marienborn und die Transitstrecke zur offiziellen Anmeldung bei der Gemeinde, wo die Erwachsenen D-Mark in Ostmark zwangsumtauschen mussten. Meine Kinderaugen erinnern sich an Erich Honecker, den alten Mann auf dem Bild in der stark beheizten Amtsstube. Dann konnten wir zu den Verwandten im Dorf an der Elbe, die damals noch Grenze war. Als Westkinder haben wir natürlich gemerkt, dass einiges anders war. Die leichteren Geldmünzen, die Schokolade, die Klamotten … und warum waren die Farben nicht so bunt wie bei uns in der BRD der 80er? Das war uns aber egal, wir haben mit den Cousins und den anderen Dorfkindern gespielt. Dorfleben hüben wie drüben.
Von Andalusien in die DDR
Ging es nicht in die DDR, verbrachten wir all unsere Schulferien in den weißen Bergdörfern Südspaniens. Andalusien in den 80ern, jedes Mal eine Weltreise, damals noch ohne Autobahn auf den letzten 700 Kilometern. Auch in Spanien schmeckte die Schokolade anders und das Geld war exotisch. Unser andalusischer Kinderalltag bestand aus 25-Peseten-Münzen horten, mano loca am Kiosk kaufen und mit den Dorfkindern spielen. Real existierende Sprachbarrieren waren uns kein Hindernis. Die Münzen (ab 1989 mit Loch!) waren auch für den Export in die DDR bestimmt und gleichzeitig der Schlüssel zu den kleinen Spielzeug-Kapseln der Kaugummiautomaten. Kleine Spielzeug-Souvenirs, manchmal sogar teure Pinypon-Figuren, die obligatorische Postkarte und eben die Peseten aus Spanien waren heiße Ware in den Kinderhänden drüben. Uns Kindern war damals klar, dass es woanders einfach anders ist.
30 Jahre nach der deutschen Einheit und 34 Jahre nach dem EU-Beitritt Spaniens hat sich viel verändert, Demokratietransfer, Aufbau Ost und Europäischem Regionalfonds (EFRE, FEDER) sei Dank. Das Große und Ganze, die Trennung in zwei deutsche Staaten und die späte Eingliederung Spaniens in die westeuropäische Demokratie, haben wir als Kinder damals natürlich nicht begriffen. Die großen, politischen Weichen sind seit langem gelegt.
Europa in Coronazeiten
Die coronabedingten Reisebeschränkungen und kontrovers geführten Debatten zeigen aktuell, wie selbstverständlich alles ist, wenn man alles hat. Konkret: Demokratie mit freien Wahlen, Reise- und Personenfreizügigkeit und das Recht auf freie Meinungsäußerung. Natürlich gibt es Kritik an Gesundheitsschutzmaßnahmen, wir möchten alle zu unserer Selbstverständlichkeit zurück. Aber wir können und dürfen diese Kritik eben frei äußern! Das sollten wir wertschätzen und verteidigen, indem wir uns gegenseitig zuhören, von West nach Ost und vom Norden in den Süden. Als kollektive Beschreibung haben diese Himmelsrichtungen übrigens etwas ausgedient, denn mittlerweile tragen wir alle ähnliche Kleidung, zahlen mit dem Euro und essen oft auch die gleiche Schokolade.
Von Kolja Bienert, September 2020
Mehr Information
Bundeszentrale für Politische Bildung, Dossier 30 Jahre Deutsche Einheit, www.bpb.de/geschichte/deutsche-einheit/30-jahre-deutsche-einheit/
Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, 30 Jahre Deutsche Einheit & Vielfalt – Eine demografische und kartographische Zeitreise, www.bib.bund.de/Publikation/2020/pdf/30-Jahre-Deutsche-Einheit-und-Vielfalt.pdf
Bertelsmann Stiftung, 30 Jahre deutsche Einheit, www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2020/september/30-jahre-danach-ost-und-west-uneins-ueber-deutsche-einheit
Die Zeit / Zeit Online, Mauerreste, www.zeit.de/2019/35/wieder
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Schlagwörter: Familie, Geschichte