St. Jordi ’24: Krabat lesen
Haben Sie es auch gehört? Das Otfried-Preußler-Gymnasium in Pullach will seinen Namen wechseln, weil der prominente Namensgeber eine NS-Vergangenheit hat.
Wie jetzt, der Vater der kleinen Hexe, des kleinen Gespensts, des kleinen Wassermanns soll Nazi gewesen sein? Tatsächlich hat Preußler 1940 mit 17 Jahren das naziverherrlichende Buch „Erntelager Geyer“ geschrieben. Von diesem hat er sich nie öffentlich distanziert, das wird ihm nun zum Vorwurf gemacht. Er sei damit als Vorbild ungeeignet.
Cancel Culture schreien die einen, Jugendsünde die anderen. Hier muss man sehr vorsichtig mit seinen Argumenten sein. Ein Bekenntnis zum Nationalsozialismus in Buchform als Jugendsünde abzutun, erscheint mir nicht die richtige Lösung. Fakt ist jedoch, dass ein großer Teil der Deutschen in dieser Zeit Nazi war und sich dazu bekannte. Insbesondere bei Jugendlichen war die Indoktrinierung stark. Viele haben sich auch später nicht von diesem Gedankengut distanziert. Preußler hat dieses Buch geschrieben und ist damit an die Öffentlichkeit getreten. Von ihm erwartet man also nun, dass er öffentlich Buße tut. Die Frage ist, hat er das nicht bereits getan? So wie er sich mit einem Buch zum NS bekannt hat, hält er doch mit seinem gesamten Lebenswerk an Büchern dagegen. Als Preußler aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrte, war das Buch im Zuge der Entnazifizierung bereits verschwunden. Er selbst hatte sich verändert. Musste man da erwarten, dass er dieses Buch noch einmal erwähnt, die dunklen Kapitel seiner Vergangenheit ausgräbt und zur Schau stellt? Er hat sich dagegen entschieden und das getan, was viele Deutsche getan haben, die Vergangenheit ruhen lassen und nach vorn geschaut.
Krabat zum Bösen verführt
Und doch gibt es ein Buch, in dem er sich noch einmal mit dem Thema des Jugendlichen, der zum Bösen verführt wurde, auseinander setzte. Krabat, der Roman, der 1971 erschien und dem eine sorbische Sage zugrunde liegt. Der junge Krabat wird Lehrjunge in einer Mühle. Am Anfang gefällt ihm seine Stellung. Der Hunger hat ein Ende und in der Gesellschaft der anderen Müllerburschen fühlt er sich bald aufgehoben. Sein Meister stellt sich jedoch als Zauberer heraus, der mit dem Teufel im Bunde ist. Am Ende eines jeden Jahres muss einer der Müllerburschen als Tribut sterben. Als Krabat dessen gewahr wird, versucht er nach und nach aus der Gemeinschaft auszubrechen. Die Liebe besiegt am Ende das Böse.
Das für ein Jugendbuch vergleichsweise düstere Werk hat unzählige Jugendbuchpreise erhalten, ist in dutzende Sprachen übersetzt worden, wurde mehrmals verfilmt und als Theaterstück inszeniert und steht sogar auf dem Lehrplan der DSB.
Dieses Buch kann als Allegorie auf die vielen Menschen gewertet werden, die sich in der Ideologie des Nationalsozialismus verfangen haben.
Die anfängliche Begeisterung, die nach und nach eindringende Erkenntnis des Bösen, der sich regende heimliche Widerstand und die immerwährende Gefahr der Denunzierung. Preußler hat mehrere Jahre gebraucht, um diese Geschichte zu Papier zu bringen, denn es war seine Form der Aufarbeitung. Und so sagt er auch selbst auf seiner Webseite: Mein Krabat […] ist zugleich meine Geschichte, die Geschichte meiner Generation, und es ist die Geschichte aller jungen Leute, die mit der Macht und ihren Verlockungen in Berührung kommen und sich darin verstricken.
Vielleicht kann man doch dieses Buch als Bekenntnis gegen die Nazivergangenheit ansehen.
Was bleibt ist die Entscheidung gegen den Schulnamen. Wenn man alles Marktschreierische und die gewollte Empörung weglässt, ist es eine demokratische Entscheidung. Es wurde ein Ausschuss gebildet, der über fünf Jahre die Fakten zur Namensgebung gesammelt hat, die Hintergründe beleuchtet und Umfragen durchgeführt hat. Die Mehrheit war letztlich gegen den Namen. Einige fanden den Namen des Kinderbuchautors angemessener für eine Grundschule, einige waren dagegen, gerade Pullach wieder mit einer nationalsozialistischen Geschichte in Verbindung zu bringen, einigen gefiel nicht, dass Preußler über Magie und Hexenkunst schrieb. Es ist unglücklich, dass diese Diskussion nicht bereits im Vorfeld geführt wurde, doch von Cancel Culture kann man bei einer so gründlichen Erhebung wohl kaum sprechen. Es wird betont, dass man Preußler nicht seine Verdienste absprechen wolle, doch wenn die Mehrheit entscheidet, dass es nicht passt, dann erfolgt die Ehrung eben nicht durch die Benennung einer Schule.
Ich werde Otfried Preußler ehren, indem ich noch einmal Krabat lese, vielleicht möchten Sie das auch tun.
Von Kati Niermann, März 2024
Infos
Thienemann Verlag, 2016, 272 Seiten 16€
ISBN: 9783522202275
Schlagwörter: Geschichte, Kultur, Literatur