Alles Sprache oder was?
Wenn das Wörtchen „zu“ nicht wär …
Heute im Poble Sec: Ein junger Mann mit Dutt spricht mit der Frau neben sich und erklärt ihr, dass wir natürlich alle eine weibliche Seite hätten. Meine Reaktion: Freude, über den aufgeklärten jungen Kerl. Dann fügt er hinzu: Ihre sei allerdings zu stark ausgeprägt.
Neben Grinsen meine Reaktion: Oh, doch nicht so offen denkend, wie angenommen? Das kleine Wörtchen „zu“. Zulaut, zuschüchtern, zuweiblich – wer maßt sich da an, zu urteilen? Wessen Beurteilung setzt fest, zu welchem Maß Lautstärke, Schüchternheit oder gar Weiblichkeit erlaubt seien? Noch genauer: Was bedeuten denn diese zuerst mal nur leeren Worthülsen? In Spanien bezüglich Lautstärke sicher etwas anderes als in Deutschland, Schüchternheit im Japanischen sicher etwas anderes als im europäischen Kontext. Und dann Weiblichkeit. In Spanien auf einem Fest sicher immer noch sehr oft durch Minirock und Stöckelschuhe ausgedrückt.
Man spricht, wie man denkt oder denkt man, wie man spricht? Oder denkt frau, wie man spricht? Oder spricht man, wie frau denkt? Uff, mir wird schwindelig. Zuerst die Henne oder das Ei?
Vorannahmen, auf die man unbewusst reagiert: Möchtest du zuerst den Müll runtertragen und dann den Pyjama anziehen? Dass man sowohl das eine wie auch das andere tue, wird impliziert. Hat leider bei meinem Sohn schon als Kind nicht funktioniert, der schon damals analytisch wie ein Forscher dachte.
Es ist offensichtlich, dass Männer mehr Schutz brauchen im heiligen Krieg der Frauen gegen Männer. Mit solchen Sätzen wird in Andalusien gerade argumentiert. Wer denkt, es sei offensichtlich? Wer behauptet diese Tatsache? Ablenkungen von Fakten, Verzerren und Verdrehen von Fakten, um Ziele zu erreichen.Propaganda von links oder rechts: Wir reagieren auf Sprache unbewusst. Wenn von einer „Flut von Flüchtlingen“ gesprochen wird, sind diese Worte gezielt gewählt, um Angst zu machen. Wer möchte schon von einer Flutwelle überrollt werden?
Männer wollen nur das eine. Solche Verallgemeinerung beeinflussen unser Denken. Nur mit Aufwand denken wir gleichzeitig an die Ausnahmen dieser Regel.So wie Sprache der Hypnose extra verallgemeinert, dass jeder Mensch seine Ideen hineinprojizieren kann und überzeugt ist, dass mit der Worthülse sein Erleben gemeint sei. Das wird auch gern von Politikern genutzt. Oder es wird ganz offen manipuliert wie in Chinas Diktatur das Massaker von ´89 zuerst zum Aufruhr, dann zum Sturm, dann zum Zwischenfall verfremdet wurde und dann dem Vergessen anheimgegeben wurde. Im chinesischen Wikipedia wird das Jahr ´88 und ´90 beschrieben. 1989 existierte – scheint es – nie.
Nicht nur als Coach hören wir, wie eine Person denkt. Wenn jemand sehr detailliert erzählt, was er/ sie erlebt hat, und dabei in Gedanken jede Einzelheit des Ereignisses wiederholt, wäre ein bisschen Löschen oder Verkürzen für einen ungeduldigen Zuhörer angesagt. So aufmerksam erlebt diese Person jede Einzelheit. Wir können sogar erkennen, ob die Person mehr in Bildern erlebt oder in Empfindungen und können uns dann darauf einstellen.
Nicht nur bei den Inuit, auch bei den Deutschen gibt es mehrere Wörter für die weiße Pracht, die gerade das Land verschönert: Schnee, Harsch, Sulz, Firn etc. Viele Ausdrücke für ein Phänomen – vielfaches Erleben. Es existieren Stämme, die als Zahlwörter nur einsoder vielebenutzen, wahrscheinlich nicht der beste Boden für Kapitalismus. Im Maori gibt es keine grammatikalischen Geschlechter oder Fälle, so wie persönliche Für-Wörter, bei dem das „wir“ entweder andere Personen ein- oder ausschließt.Im Chinesischen einen anderen Plural; keinen, der das Wort verändert (ein Haus, viele Haus). Was den chinesischen Deutschschülern dann noch auf C 1-Niveau Schwierigkeiten bereitet. Wie anders wir denken, wie anders wir sprechen! „Mit jeder neu gelernten Sprache erwirbst du eine neue Seele.“, sagt ein tschechoslowakisches Sprichwort. Deswegen kann man nicht zuviele Sprachen sprechen. Wieso nicht zugehen auf andere Sprachen und Kulturen, statt uns von ihnen abzuschotten. Und so unser Leben nur reicher und farbenfroher gestalten. Und etwas weniger beurteilen, was zu… ist. Sondern einfach akzeptieren, so wie wir auch gerne akzeptiert werden.
Von Ruth Simma
Sprachtrainerin und Coach
Schlagwörter: Magazin, Moderne Welt