„Café para todos“
Die Autonomien in der spanischen Verfassung
„¡Café para todos!“ Dies forderte 1977 der damalige Minister der Regionen Manuel Clavero Arévalo. Der Politiker verlangte seinerzeit, dass Andalusien denselben „Kaffee“ bekäme, wie die so genannten historischen Autonomien namentlich Katalonien, das Baskenland und Galizien. Er stellte sich ein Spanien vor, indem alle 17 Autonomiekaffeetassen halb voll oder halb leer, aber eben alle gleich gefüllt wären. Die Kaffeesymbolik ist der Inbegriff der Autonomieproblematik in Spanien geworden.
Die junge spanische Verfassung hat 1978 nicht nur die von 1938 bis 1977 geltenden sieben Grundgesetze (7 leyes fundamentales del Estado) vom Diktator Francisco Franco ersetzt, sondern gerade im Zusammenhang mit den Autonomien in Spanien einen enormen Schritt gemacht.
Mit dem Tod des Diktators am 20. November 1975 war die Zukunft Spaniens zunächst unklar. Im selben Jahr bestätigten die Cortes den von Franco in der ley de sucesión vorgesehenen jungen Prinzen Juan Carlos I de Borbón als Staatsoberhaupt. Ähnlich wie nach den arabischen Frühlingsrevolutionen Anfang des Jahres, konnte sich jedoch auch in Spanien noch keiner einer demokratischen Transition sicher sein. Dennoch betonte der junge Monarch in seiner Ansprache vor den Cortes, dass sich die Spanier in einem gemeinsamen Projekt versöhnen sollten. Einer der wichtigsten Schritte in Richtung Demokratie war ohne Zweifel die Verfassung. Die von der verfassungsgebenden Versammlung erarbeitete neue (Ver-)Fassung, wurde am 6. Dezember 1978 in einem Referendum mit 88% der Stimmen des spanischen Volkes bestätigt.
Der Text, der seit dem 29. Dezember 1978 in Kraft ist, gewährleistet neben der Volkssouveränität, der Gewaltenteilung, dem Rechtsstaat und der parlamentarischen Monarchie, die Autonomen Gemeinschaften. Artikel 2 garantiert die Einheit der Nation und zugleich das Recht auf Autonomie. Die spanische Staatsstruktur lebt demnach vom konstanten Widerspruch der Einheit in der Vielfalt. Artikel 3 erklärt das Kastilische zur offiziellen Amtssprache und stellt zugleich klar, dass in den Autonomen Gemeinschaften gemäß ihrer Statuten die anderen spanischen Sprachen auch offiziell sind. Es ist der 4. Titel der Verfassung, der sich mit der territorialen Gliederung des Staates befasst. Im Rahmen der Selbstregierung ist es den Autonomien gestattet, eigene Statuten zu haben. Diese haben den gleichen Rang, wie die Verfassung und werden von den Cortes Generales vorab wie ein Gesetz geprüft. Die möglichen Zuständigkeiten der Autonomien sind in der Verfassung vorgesehen. Die Autonomien können demzufolge ihre institutionelle Organisation in den Statuten selbst festlegen und genießen bei der Ausübung ihrer Zuständigkeiten finanzielle Autonomie. Nach dem Subsidiaritätsprinzip wird die Kompetenz, die die Autonome Gemeinschaft nicht in ihr Statut einfügt, vom Staat ausgeübt. Im Gegensatz zu einem Bundesstaat, wie Deutschland es ist, besteht aber keine Gleichheit an Autonomie der Autonomien. Spanien hat sich für eine Autonomie „à la carte“ entschieden. So bestehen beispielsweise im Bereich der Finanzverwaltung enorme Unterschiede.
Was bedeutet eine Ordnung, die sich zwischen Zentralismus und Föderalismus situieren lässt? Die spanische Staatsform ist auf die geschichtliche Entwicklung des Landes zurückführen, das seit jeher von seinen historischen Regionen geprägt wurde. Beispielsweise hatten die so genannten historischen Autonomien schon unter der „Segunda Republica“ (1931-1939) Statuten. Leider führt die aktuelle hohe Dezentralisierung und Heterogenität des multilingualen Königreiches zur fehlenden Solidarität zwischen den Autonomien. So sieht sich Spanien nicht nur starken nationalistischen und separatistischen Bewegungen wie in Katalonien und im Baskenland gegenüber, sondern bemüht sich ständig die Autonomien aneinander anzugleichen. Während der PP immer wieder auf die Gefahr des Einheitsverlustes aufmerksam macht, spricht der PSOE vom demokratischen Mehrwert durch den Pluralismus.
Ein zentraler Einheitsstaat, wie Frankreich beispielsweise, erlangt die Einheit durch Gleichheit und weniger Autonomie. Die Staatsgewalt wird nur von einer einzigen Organisation wahrgenommen. Diese Staatsform birgt in sich die Gefahr zu rigide zu sein und dennoch sieht sich Frankreich keinen vergleichbaren nationalistischen Bewegungen gegenüber. Spaniens Staatsform hingegen zeichnet sich durch Flexibilität aus und passt sich dem jeweiligen Selbständigkeitsgrad der Autonomie in wirtschaftlichen und politischen Aspekten an. Auch ein föderaler Staat, wie die Bundesrepublik, übt Staatlichkeit auf zwei Ebenen (der Bundes- und Länderebene) aus. Das spanische Model ist, ähnlich wie es sich bei der EU um eine einmalige internationale Organisation handelt, im internationalen Vergleich einzigartig und lässt sich als asymmetrischer Föderalismus bezeichnen. Diese Asymmetrie birgt auf längere Sicht deutliche Risiken und schafft auf Dauer eine immer wachsende Diskrepanz zwischen den Autonomien.
Ebenso, wie man bei der Suche nach der richtigen Staatsform schon bei der Demokratie darauf kommt, dass sie nur das „kleinere Übel“ ist (Winston Churchill, 1947), scheint auch die Frage nach einer idealen regionalen Autonomie ungeklärt. Dennoch ist die Forderung nach Kaffee für alle immer noch präsent.
Alma Laiadhi, 24.05.2011
Schlagwörter: Moderne Welt