Dossier Familie: Andere Länder, andere Erziehung
Für Eltern ist es schwer, den richtigen Erziehungsstil zu finden. Neben ihren Wertevorstellungen, die ja auch manchmal sehr unterschiedlich sein können, spielen Zeit, Geld, Bildung und soziale Prägung eine große Rolle. Dies kann man in den unterschiedlichen Erziehungsstilen, die sich in Deutschland und Spanien entwickelt haben, deutlich erkennen. Im Prinzip haben sich in Spanien die gleichen Erziehungsstile, wenngleich in verschiedenen Jahrzehnten, aber mit anderen Schwerpunkten entwickelt. Das liegt an den unterschiedlichen Familienstrukturen, der anderen Mentalität und verschiedenen Interventionen durch den Staat.
In Deutschland ist es heute üblich, dass die Eltern 1 bis 3 Jahre Erziehungszeit pro Kind nehmen. 14 Monate davon gibt es vom Staat Erziehungsgeld, wobei mindestens 2 Monate davon der Vater nehmen muss. Üblicherweise bleibt die Mutter mindestens 6 Monate nach der Geburt zu Hause. Anschließend teilen sich die Eltern die restliche Erziehungszeit, wobei meistens die Mutter den Hauptanteil nimmt. Nach den 14 Monaten ist es nicht einfach, einen passenden Krippenplatz zu bekommen, so dass häufig nur ein Elternteil, meist der Vater, voll arbeitet und der andere halbtags.
Ganz anders in Spanien: Hier wird vom Staat die Gleichberechtigung bei der Erziehung großgeschrieben. Beide Elternteile bekommen je 16 Wochen Erziehungsgeld und beide auch danach noch etwa 3 Wochen „Stillzeit“. Die ersten 6 Wochen nach der Geburt sollen beide Elternteile zu Hause bleiben. Danach können sie die restlichen Wochen aufteilen, wodurch das Kind circa 6 Monate von den Eltern zu Hause umsorgt wird. Danach ist es vergleichsweise einfach, einen Krippenplatz zu bekommen. Nach 6 Monaten sind meistens beide Elternteile wieder voll berufstätig. Da das Einkommen in Spanien im Vergleich zu Deutschland deutlich niedriger ist, bleibt den Eltern auch oft nichts anderes übrig.
Die Mentalität der meisten Spanier ist geprägt durch Gelassenheit und Toleranz gegenüber ihren Kindern. Dies spiegelt sich in der Erziehung wider. Es gibt nur wenige Regeln und lockere Vorgaben. Soziale Aspekte werden betont, Kinder sind überall dabei, bleiben lange auf und bekommen viel Aufmerksamkeit. Der Familienzusammenhalt ist groß, und die Großeltern werden meistens stark in die Kinderbetreuung einbezogen.
Auch in Deutschland ist der autoritäre Erziehungsstil veraltet, und der demokratische Stil überwiegt. Dennoch gibt es mehr Regeln für die Kinder als in Spanien. So wird zum Beispiel die Lautstärke der Kinder weniger toleriert, und die Kinder werden früher ins Bett gebracht, damit die Eltern auch mal ihre Ruhe haben und die Kinder ausgeschlafener sind.
Die Prioritäten werden in beiden Ländern an die verschiedenen Vorgaben des Alltags angepasst. Wo die Kinder erst um 17 Uhr Kindergarten oder Schule verlassen, findet Familienleben in den Abendstunden statt. Wo Kinder ab mittags zu Hause sind, ist der Bedarf an gemeinsamer Zeit früher gedeckt, und es darf abends eher Ruhe einkehren.
Birgit Carls-Eisenberg, Mai 2022
Dossier Familie: TS 151
Schlagwörter: Familie, Traditionen