Verschenk doch mal ein Tagebuch zu Weihnachten
Ach ja, das Tagebuch! Ungefähr ab dem 12ten Lebensjahr bekam man es als Geschenk von Freunden und Verwandten in die Hand gedrückt: Hier kannst du jetzt all deine schönen Erlebnisse reinschreiben!
Mal nachdenken; was für tolle Erlebnisse hat man denn so mit 12 Jahren? Nachdem man im Besitz von 3 Tagebüchern war, konnte man eins zumindest mal zum Einkleben von Sammelbildern ver-wenden, oder Marsmännchen reinmalen oder alle drei einfach irgendwo in einer Ecke deponieren.
Aber plötzlich wurde es für pubertierende Mädchen trendig, ein Tagebuch zu führen. Wer eins mit Schloss hatte, konnte großzügig all seine kleinen Geheimnisse darin verewigen. Wer nicht, musste es vor der Neugier einiger Familienmitglieder verstecken, selbst wenn darin nur so Dinge wie der Ärger über die blöde Französischlehrerin standen. Vor einer liebenden Mutter, die ja nur wissen will, was ihr Kind so treibt und erlebt und nicht mit ihr darüber spricht, ist einfach kein Versteck sicher! Also muss man Vorkehrungen treffen. Woher das kam, weiß ich nicht genau, aber ich hatte ein Talent im rückwärts schreiben und so füllte ich viele Tagebuchseiten in Spiegelschrift. Der Gedanke, dass meine Mutter, sollte sie mein Tagebuch finden, sich nun vor einen Spiegel stellt, um meine Zeilen zu entziffern, erheiterte mich total. Aber vielleicht tue ich ihr ja Unrecht und sie hat nie in meinem Tagebuch gestöbert.
Aber wer über Jahre mit Hingabe sein Tagebuch mit täglichem Kleinkram, mit Herzschmerz, Ärger und Freude gefüllt hat, weiß, wie das Niederschreiben von Erlebtem der Seele guttut. Man sondiert dabei seine Gedanken, konzentriert sich auf das Wesentliche und verarbeitet schmerzhafte Dinge, wie den Tod eines lieben Menschen, den Verlust der ersten Liebe oder Misserfolge, aber auch die frohen und glücklichen Momente intensiver und auch besser. Liest man nach vielen Jahren mal wieder in den alten Tagebüchern, erinnert man sich an vieles, was längst ver-gessen war und man fühlt sich wieder jung und das ist ja eigentlich ein sehr schönes Gefühl. Und dann verschwindet unser Tagebuch wieder in irgendeiner Schublade und ist eigentlich für niemanden außer uns selbst interessant.
Doch nicht jedes Tagebuch ist so uninteressant, wie das unsrige. Man denke an das Tagebuch der Jüdin Anne Frank, die während der Judenverfolgung im dritten Reich mit ihrer Familie und an-deren Juden in einem Versteck leben musste. Die Veröffentlichung ihrer Aufzeichnungen wurde zu einem Symbol dieser schrecklichen Zeit. Auch das Tagebuch von Sissi, der österreichischen Kaiserin, kam an die Öffentlichkeit. Sie nutzte es für ihre Gedichte, aber auch, um ihrem Ärger über den Wiener Hof, die aristokratische Gesellschaft und die ihrer Meinung nach unzeitgemäße Monarchie Luft zu machen. Heute ein erkenntnisreiches Dokument aus dieser Zeit.
Von wichtigen Berühmtheiten (z. B. Wilhelm von Humboldt, des-sen Tagebücher 1916 und 1918 veröffentlicht wurden, oder der spanische Schriftsteller und Literaturpreisträger Rafael Chirbes dessen Tagebücher 1915-2005 unter dem Titel: „von Zeit zu Zeit“ erschienen), Politikern oder großen Stars, sind solche tage-buchähnlichen Aufzeichnungen oft von wesentlicher Bedeutung, um tiefere Einblicke in das Zeitgeschehen, zu ihrer Person, ih-rem Leben und ihren Gedanken zu erhalten. Ein nicht wirklich echtes Gedankengut gab es in den von Konrad Kujau gefälschten Hitler-Tagebüchern, die an eine große Zeitschrift verkauft und veröffentlicht wurden, und einen Riesenskandal auslösten.
Aber dennoch, zu Weihnachten ruhig mal ein Tagebuch ver-schenken und wer weiß, wenn es nicht gerade in Spiegelschrift geschrieben ist, könnte ja vielleicht eines Tages doch mal ein zeitliches oder rein inhaltlich wichtiges Dokument daraus wer-den.
Von Dixi Greiner, Dezember 2023
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Schlagwörter: Literatur, Traditionen