St. Jordi ’24: Amor sense món
Ein faszinierender Roman über die Liebe zwischen Hannah Arendt und Martin Heidegger.
Die turbulente, unbekannte und komplexe Liebesgeschichte zwischen den beiden bedeutenden Philosophen des 20. Jahrhunderts, mit dem Hintergrund der großen historischen und kulturellen Umbrüche jener Zeit, wurde zu einem un-vergesslichen Roman.
Miquel Esteve ist Wirtschaftswissenschaftler, Gymnasiallehrer und Geschäftsmann. Er hat mehrere Romane veröffentlicht, und im Jahr 2021 wurde er für sein Gesamtwerk mit dem Lletres Ebrenques Merit Award ausgezeichnet. Amor sense món ist sein letzter Roman, der aus seinem großen Interesse an der Philosophie und Geschichte Europas des 20. Jahrhunderts hervorgeht.
Martin Heidegger (1889-1976) und Hannah Arendt (1906-1975) lernten sich an der Universität Marburg (Deutschland) im Jahr 1924 kennen. Er war ein anerkannter Lehrer an der Uni, sie war seine fortgeschrittenste Schülerin. Er war verheiratet und hatte zwei Kinder, sie war ledig. Er war 35 Jahre alt, sie 18. In diesem Rahmen fängt Amor sense món an. Hannah bewunderte den Lehrer, seinen Unterricht und sein Denken. Heidegger bewunderte Hannahs Intelligenz, Verständnis und Leidenschaft.
Heidegger sympathisierte mit Hitlers Nationalsozialismus und war stolz darauf, einen Sohn an der Front zu haben, der das Vaterland verteidigte und am Ende des Krieges in einem russischen Lager verschwand. Seine Frau verbarg nicht ihren Hass auf die Juden, eine Radikale.
Hannah war Jüdin, musste mit ihrem ersten Mann aus Deutschland fliehen, und ließ sich in New York nieder, wo sie bis zu ihrem Tod lebte.
Der Unterschied. Was mich am meisten bewegt hat ist Folgendes: Zwei sehr unterschiedliche Menschen können sich bis zum Ende lieben, in der Ferne, mit Schwierigkeiten, sogar mit Zweifeln, doch es bleibt eine tiefe und reine Liebe, aus dem Intellekt heraus, aus dem Verständnis des anderen. Miquel Esteve erklärt es mit großer Schönheit und Sensibilität, indem er die beiden Biografien, die Hauptwerke der beiden Philosophen, die Ereignisse des Lebens und der Ge-schichte miteinander verknüpft.
Beeindruckend ist auch die Modernität des Denkens von Hannah Arendt. In ihrem Werk, Eichmann in Jerusalem (1963), theoretisiert sie über das Konzept der „Banalität des Bösen”, als eine Form des destruktiven Bösen durch Mittel-mäßigkeit und Gedankenlosigkeit, die aus einem Mangel an kritischer Reflexion resultiert. (Adolf Eichmann war direkt für die „Endlösung der Juden” verantwortlich). Arendts Werk ist sehr kontrovers, weil viele der Meinung waren, dass es das Übel des Nationalsozialismus trivialisierte, obwohl es gleichzeitig sehr kritisch gegenüber den Juden war, wie die Juden sich in Israel und im Gazastreifen gerade in jenen Zeiten verhielten. In gewisser Weise sagte sie voraus, dass der Tota-litarismus in der Zukunft zunehmen würde. Sie hatte Recht.
Heidegger distanzierte sich von ihr, um sie zu schützen, denn er war direkt mit dem Nationalsozialismus verbunden. Miquel Esteve schreibt über all das.
Auch die offene Liebesbeziehung ist unglaublich aktuell. Nur einige enge Menschen waren sich der Beziehung bewusst, darunter auch Hannahs Ehemann, der von Anfang an davon wusste und sie akzeptierte. Heidegger beschloss, es seiner Frau zu beichten, weil er todmüde und voller Bedauern war. Die erste Reaktion der Frau war absolute Ablehnung, Wut, Hass, denn ihr Mann hatte eine Geliebte und die war eine Jüdin. Unvorstellbar. Im Laufe der Jahre lässt der Hass nach, und sie wird Hannah in gewisser Weise schätzen und erken-nen, dass die Geliebte diejenige war, die die Komplexität der Gedanken ihres Mannes am besten verstand und ihn immer unterstützt hatte. Eine diskrete Hinwendung zur Toleranz.
Auf jeden Fall, eine empfehlenswerte Lektüre, tief und be-rührend. Vergessen wir auch nicht, dass Hannah Arendt die Inspiration für unseren Klub Hannah ist, der alle zwei Monate eine Gruppe von Frauen im Goethe-Institut zusammenbringt, zum Networking und um über Erfahrungen und Lebensgeschichten aktueller Frauen zu diskutieren. Alle Frauen seien ganz herzlich willkommen!
Von Sara Oró, März 2024
Infos
Verlag Navona Editorial – 2023
Katalanisch und Spanisch, 384 Seiten, 22,80 €.
Schlagwörter: Frauen, Kultur, Literatur