Dossier Familie: Erziehung im Wandel
Bis in die 1960er Jahre dominierte in Deutschland der autoritäre Erziehungsstil. Strikte Regeln, die das Kind zu befolgen hatte, Disziplin und Gehorsam standen im Mittelpunkt der Erziehung. Häufig gepaart mit einer patriarchischen Familienstruktur wurden die Regeln meist vom Vater vorgegeben, und die Mutter sorgte für ihre Einhaltung oder verwies auf die Strafe durch den Vater. Sätze wie: „Warte nur, bis dein Vater nach Hause kommt…“, sind mir deutlich in Erinnerung.
Mitte der 60er Jahre änderten sich die Wertvorstellungen. Emanzipation, Selbstbestimmung, Kritikfähigkeit und Eigenverantwortung wurden zu Werten, die langsam auch in die Kindererziehung einflossen. Auf die autoritäre Erziehung folgte die antiautoritäre Erziehung. Sie sollte als Gegenpol den Kindern genug Freiheit lassen, so dass sie Eigenverantwortung und Selbstvertrauen entwickeln konnten. In den 70er und 80er Jahren führte dies aber bei vielen Familien zu einer Erziehung ganz ohne Grenzen mit der Folge von unerzogenen Kindern, die „über Tische und Stühle gingen“ und der antiautoritären Erziehung ihren heute schlechten Ruf einbrachten.
Daraus resultierte der demokratische Erziehungsstil, der sich in den 90er Jahren entwickelte und auch heute noch häufig verwendet wird. Die Kinder sollen hierbei die Möglichkeit bekommen, sich mit vielen Dingen und Situationen auseinander zu setzen, selbst Entscheidungen zu treffen und früh Selbständigkeit zu entwickeln. Eltern und Erzieher versuchen in einem guten Verhältnis von Regeln und Freiheit, den Kindern Orientierung zu geben, wobei wichtige Entscheidungen gemeinsam diskutiert und gefällt werden. Die Beziehung ist geprägt von Zuneigung und Akzeptanz. Häufige Diskussionen fördern dabei einen guten Wortschatz und eine starke Ausdrucksfähigkeit der Kinder, benötigen aber auch viel Zeit und Geduld seitens der Eltern.
Ein von dem demokratischen Stil abgewandelter Erziehungsstil ist die egalitäre Erziehung. Auch hier sollen Selbständigkeit, Kreativität und Eigeninitiative im Mittelpunkt stehen. Allerdings basiert der egalitäre Stil auf absoluter Gleichberechtigung, d.h. Erzieher und Kinder haben die gleichen Rechte und Pflichten, es gibt keine hierarchischen Strukturen. Dieser Erziehungsstil erfordert sehr viel Zeit, da jeder Entscheidung lange Prozesse voran gehen. Die Erziehungsberechtigten müssen gewillt sein, die Gleichberechtigung auch wirklich umzusetzen. Im späteren Leben kann es allerdings zu Problemen kommen, da die Kinder nicht gelernt haben, sich in hierarchischen Strukturen zurechtzufinden und es ihnen schwerfallen kann, Regeln und Vorgaben z.B. von Arbeitgebern zu akzeptieren.
Eine Sonderform der antiautoritären Erziehung entstand mit der Hippiebewegung. Bei der sogenannten laissez-faire Erziehung werden den Kindern seitens der Eltern kaum Vorgaben gemacht. Sie verhalten sich eher passiv und stellen wenig Ansprüche an die Kinder, berücksichtigen aber auch nicht die Wünsche ihrer Kinder. Die Erziehungsberechtigten versuchen, ihre Erziehungsaufgaben so gering wie möglich zu halten und benötigen viel eigenen Freiraum. Dadurch bieten sie ihren Kindern keine Orientierung und Sicherheit. Zuneigung und Zuwendung stehen nicht im Vordergrund. Das Resultat sind häufig beziehungsunfähige Erwachsene mit einem schlechten Selbstwertgefühl.
Das Gegenteil sind überverantwortungsvolle Eltern, die den Zwang verspüren, ihre Kinder bestmöglich zu fördern und zu behüten. Sie wurden in den 2000er Jahren mit den Begriffen Helikopter- oder Rasenmähereltern belegt. Helikoptereltern kreisen ständig um ihre Kinder und mischen sich in alle ihre Angelegenheiten ein. Sie sind der Lehrerschreck der heutigen Zeit, da sie in alles eingreifen, was mit ihren Kindern zu tun hat, und immer nur „das Beste“ für sie wünschen.
Rasenmähereltern sind die Steigerung davon. Sie beseitigen alle Hindernisse für ihre Kinder und verhindern jede noch so kleine Kritik an ihnen. Den Kindern wird so die Möglichkeit genommen, aus Fehlern zu lernen und durch Misserfolge stärker zu werden.
Doch welches ist nun die „richtige“ Erziehung? Die gibt es wohl nicht! Richtig ist Erziehung dann, wenn sie eine glückliche Kindheit ermöglicht und die Kleinen zu selbst- und verantwortungsbewussten Jugendlichen heranwachsen lässt.
Von Birgit Carls-Eisenberg, Mai 2022
Dossier Familie, TS 151
Schlagwörter: Familie, Traditionen